Atomkraft mit offener Hose

■ Impaled Nazarenes „zeitgenössischer Punk“ am 25. 1. in der Markthalle

Die (französische) Plattenfirma, die diesen Kram veröffentlicht, stammelt unbeholfen vor sich hin, dies alles sei nun wahrlich nicht faschistoid, da solle man doch mal vor der eigenen Haustür gucken, und ihnen allen wäre doch nur daran gelegen, extremen Bands ein Forum für ihre extreme Kunst zu geben. Das ist nicht gerade viel Aussage und doch die Zusammenfassung aller Argumente, die den Verteidigern satanistisch gefärbter Metal-Blüten einfällt.

Von Humor ist dabei leider nie die Rede. Was verständlich und unverständlich zugleich ist. Verständlich aus Rezipientensicht, dem gierenden Wunsch nach Authentizität, schließlich will man in der Gong-Show ja auch nur die echten Deppen und nicht jene Heerscharen von Feierabendprovokateuren und Menschen mit zu Kunst erhobenem schlechten Geschmack sehen.

Unverständlich allein bei genauerem Hinsehen: wer zum Teufel (!) schminkt sich wie einst Gene Simmons, betitelt seine Stücke mit „Sadistic 666/Under A Golden Shower“ und trifft als einzige inhaltliche Aussage auf dem Plattencover die Befürwortung der Atomenergie und der Zerstörung der Umwelt? Erinnert solch ein willenloses Potpourri bürgerschreckender, anti-logischer Positionen nicht an eine vergangene Zeit?

Obrigkeitsbeleidigung, totale Verschlampung und das eine oder andere Hakenkreuz tun es 1994 einfach nicht mehr, und ein Blick auf die fotografischen Selbstdarstellungen von Impaled Nazarene (aufgespießter Nazarener) sagt vieles: die Zunge draußen, die Hand in der geöffneten Hose, der ausgestreckte Mittelfinger ganz vorn. So sieht moderner Punk aus, ohne Utopie, ohne ernstzunehmende Gesellschaftskritik, selbstzufrieden, ästhetisiert. Und, denn irgenwoher muß die Parallele ja jenseits von Posen begründet sein, mit musikalischen Mitteln, die zwar auch nichts revolutionieren (wie auch), doch an den der Heftigkeit verschriebenen Außenflanken des Spektrums mit aller bescheidenen Macht kratzen.

Nein, nein, ich glaube es wirklich nicht: in soviel (musikalischer) Bewegung steckt kein gefährdendes Potential und auch die Bekriegungen im sozialen Dickicht Skandinaviens sind viel mehr Punk und hilf- und sprachlose Formulierung von Leere in dieser Kultur als zu unterbietender Wahnsinn oder gar Jugendgefährdung. Letzteres kriegen nun wirklich Tausend andere alltäglich besser hin. Und jenseits aller Inhalte bleibt, zumindest bei Impaled Nazarene ein einzigartig niederschmetterder Klangorkan ohne Wenn und Aber. uschi steiner