Ein Stück - zwei Geschichten

■ „Meschugge vor Hoffnung“: Regisseur Brian Michaels über sein Projekt in den Kammerspielen

Mit „Meschugge vor Hoffnung“ knüpfen die Kammerspiele an die jüdische Tradition des Hauses in der Hartungstraße an. Bis 1941 war hier der Jüdische Kulturbund beheimatet, später war hier eine Sammelstelle für die Deportation jüdischer Hamburger Bürger in die Vernichtungslager.

Der britische Regisseur Brian Michaels entwickelte das Projekt zusammen mit den sieben Musikern und sieben Darstellern. Begleitet wird die Inszenierung vom Mickey Katz-Orchester, das Dieter Fischer (Devils Rubato Band) ins Leben rief. Berühmtester Gast ist Giora Feidman, der sicher mit seinem überragenden Klarinettenspiel zum derzeitigen Klezmer-Boom beigetragen hat.

Film, Erzählungen, Klezmer-Musik - wie wurde ein Stück draus?

(Lacht): Das würde ich auch gerne wissen. Die Idee, das Stück nach diesem Film „A Brivele der Mamen“ zu entwickeln, fand ich zunächst bedenklich. Ich stieg ein, als klar war, daß H. C. Artmann die Texte schreiben wollte. Leider wurde er krank und hat nur eine vorläufige Bearbeitung geschrieben. Der Film wurde vor dem Krieg gedreht und lebt von den Menschen darin, die man heute nicht mehr kennt. Das Schtetl gibt nur das Kolorit, wird aber kaum thematisiert. Es ist eine etwas rührselige Geschichte von einer Mutter, die alles verliert und am Ende, ähnlich wie im „Hiob“ von Joseph Roth, in Amerika ihren verlorenen Sohn wiederfindet und sich mit Gott und der Welt versöhnt.

Für den ersten Teil haben wir Motive daraus übernommen und im Improvisationsverfahren neue Texte entwickelt. Auch aus Israel J. Singers Erinnerungen „Von einer Welt, die nicht mehr ist“ haben wir Texte genommen. Selbst für Peggy Parnaß und mich ist die alte ostjüdische Welt fremd, sie ist verschwunden. Nun erzählt Peggy Parnaß als Mutter aus Erinnerungen. Die anderen Beteiligten fungieren als chorische Illustration, die das Erzählte aufgreift und mit den Klezmer-Traditionals in Spiel umsetzt.

Und im zweiten Teil?

Im zweiten Teil habe ich versucht, mit der Erzählung „Der Herr aus Krakau“ von Isaak B. Singer einen Spielpunkt zu finden, der auch für Giora Feidman eine Möglichkeit bietet, seine Musik darzustellen. Auf der Bühne spricht er eine wahnsinnige Mischung aus Englisch und Deutsch und Jiddisch, nicht viel, aber sehr lustig. In dieser erfundenen Spielsituation erzählen drei Schauspieler einem vierten die Geschichte. Und hier ist die Musik von Feidmans Frau Ora Bat Chaim Protagonist, sie spielt mit.

Im ersten Teil Klezmer-Traditionals, im zweiten Teil wird der Text zur Musik gesprochen. Hat das auch inhaltliche Hintergründe?

Die beiden Geschichten liegen unglaublich weit auseinander. Der erste Teil versucht, zumindest fragmentarisch, Elemente dieser Schtetl-Welt und den Verlust dieser Welt wiederzugeben. Dazu gehören auch die Folgen der Emigration, die Orientierungslosigkeit, und Verlust von Heimat und eigener Kultur.

Der zweite Teil richtet sich eher auf die Entstehung des Chassidismus, der Strömung, die im 18. und 19. Jahrhundert zur Blüte der Schtetl-Kultur führte. Isaak B. Singer beschäftigt sich sehr stark mit der dunklen Seite der jüdischen Tradition. „Der Herr aus Krakau“ ist eine ganz bizarre, böse Erzählung über ein Schtetl, das dem Teufel auf den Leim geht. Es ist auch eine Metapher für die Zerstörung jüdischer Kultur im 19. Jahrhundert. Der Herr bringt die Tradition ins Schwanken. Es wird immer unheimlicher, der Mond geht auf, obwohl die Sonne nicht unterging. Die Pervertierung der Natur kündet das Unheil an: Der Herr ist der Teufel, die Stadt wird zerstört.

Sind Sie Klezmer-Fan?

Als Kind hatte ich ein gestörtes Verhältnis dazu. Die Familie meiner Mutter war riesig, da war bald jede dritte Woche eine Hochzeit mit Klezmer. Durch die Arbeit und sicher auch durch Feidman hat sich das verändert. Die Musiker sind eine tolle Truppe - übrigens auch die Schauspieler, die abschreiben, übersetzen, Quellen finden helfen, das ist weit ab von dem, was man sonst an Staatstheatern erlebt.

Spüren Sie etwas von der Geschichte Ihres Arbeitsplatzes?

Wenn man durch den Logensaal geht, diese dorischen Säulen mit Davidstern sieht, auf alle Fälle. Es ist eigenartig, daß die Probebühne in Norderstedt in einer ehemaligen Nazi-Waffenfabrik ist. Merkwürdig, zwischen diesen Orten zu pendeln. Fragen: Julia Kossmann