Wand und Boden
: Zwiegespräch mit einem geblümten Hund

■ Kunst in Berlin jetzt: The Art of Sarah Pucci, Susi Pop und Kehl

Unzeitgemäß wie die Summe aller irren surrealistischen Träume sind sämtliche Farben auf engstem Raum versammelt: Knapp 150 verzierte brokatartige Objekte, die an indischen Hochzeitsschmuck, mexikanische Totentags-Torten und türkisches Festtagsgeschmeide erinnern. Doch für eine trickreich konzeptuell agierende Low-culture- oder Poverty-Pop-Artistin ist Sarah Pucci wohl schon ein wenig zu lange dabei. Die heute 92jährige Frau aus Massachussetts arbeitet bereits seit 1959 an der Paillettierung von Kunst und Leben.

Zunächst sind die befremdlich bunten Gegenstände auf wenige Grundformen aus zugeschnittenem Styropor reduziert: Herzen, Kissen, schwebende Glöckchen und Kirchenreliquien. Ein klar ikonografisch gefestigter Zeichenkanon, der aber überbordend ornamental fixiert mit Perlen, Straß, Ohrringen, Pailletten und Kleinodien in jeder denkbaren Variation besteckt wurde. Die Farbkombination ist zumeist mustergültig: von Pink über Orange, Bernstein bis Zitronengelb entwickelt sie einen Reigen aus sich zur Mitte hin verjüngenden Kreisen („My Favorite“). Manchmal geben Titel wie „Courage“ oder „Beauty Crown“ Aufschluß über die jeweilige Verfaßtheit der Objekte. Andererseits ist das Verfahren unmittelbar an der Vita von Sarah Pucci abzulesen. In ihrer Jugend hatte sie Schneiderin gelernt, später in einer Schokoladenfabrik Torten dekoriert, und diesen Umgang mit dem süßen Material schließlich auf starre Gegenstände übertragen. Geblieben ist davon die Freude am Zierat – Bälle, die flirrend bunt bestickt leuchten wie Zuckerguß zur Weihnachtszeit.

Am Anfang stand aber auch das Verhältnis zur Tochter Dorothy Iannone, die selbst als Künstlerin der Fluxus-Bewegung anhing, nach Europa auswanderte und dort mit dem Schweizer Dieter Roth zusammenlebte. Die Mutter schickt ihr Souvenirs, um aus der Ferne der amerikanischen Provinz die Beziehung über Symbole aufrechtzuerhalten. Aus dem Wunsch, erinnert zu werden, wird die Suche nach der eigenen Erinnerung. Zuletzt bastelt Sarah Pucci quasi ihre selbst nachempfundene Vergangenheit als Steckmodell zusammen und klebt in die an ihre Tochter adressierten Memorabilia Bilder der eigenen Mutter und Großmutter ein. Der Versuch, die Tochter zu erreichen, verschwindet in der Beschäftigung mit dem Material.

Bis 22. 1., Mi-Fr 16.30 -19 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Galerie Fischer, Carmerstraße 14, Charlottenburg.

Sehr viel stringenter am Kunstmarkt orientiert ist Susi Pop. Um auf einen zeitgenössischen Diskurs zu kommen, bedient sich eine Vielzahl von KünstlerInnen des Frauen-Synonyms, denn „wenn man Kunstwerke als die Folgen künstlerischen Handelns betrachtet, das den Betrachter auf den Urheber verweist, handelt es sich beim Werk Susi Pops um die größtmögliche Abstraktion, da es sich nicht auf eine Person zurückführen läßt.“ Mit dieser knappen Kausalverschwörung schafft ein gewisser Matthias R. Entreß sicheren kunstpädagogischen Schrittes den konzeptuellen Überbau von Frau Pseudo-Pop zur Ausstellung „Ikonen der Gegenwart“. Wie immer solche Anonymität zu denken sein soll, die Bilder bewegen sich auch ohne Signatur recht brav im akademischen Kontext: Viel Beschäftigung mit der Oberfläche.

Auf 30 verschiedenen Hintergründen, die meistenteils zwischen Rot und Blau pendeln, sind betont „soziale Grenzen“ überschreitende Alltagsgegenstände von der Camelia-Binde bis zum Zott-Sahne-Joghurt zu sehen, die mittig auf der Bildfläche schwimmen. „Was haben wir nur ohne sie gemacht?“, fragt sich Matthias R. Entreß. Ich weiß es auch nicht. Perspektivisch ein wenig geschludert, trübt jedenfalls kein Schattenwurf der Real-Allegorien das Feld der „plain surface“ — eine Problematik, mit der sich die Malerei nun schon gut und gerne seit vier Jahrzehnten auseinandersetzt. Ein Michael Krebber etwa wütet in solchen Dingen weitaus freier. Neben der Eingangstür hängt jedoch ein sehr schönes quadratisches Bild mit einem formattreuen Müllbehälter der BSR, der uns sonst alle sieben Straßenlaternen weit leuchtend orange zur Sauberkeit mahnt: „Die Gegenwart hat etwas Blendendes. Das Sein ist der Schaum auf dem Wellenkamm, das einzig Wirkliche.“

Bis 22.1., Mi-Fr 15-18 Uhr, Fr/Sa 23-4 Uhr, Galerie Boudoir, Brunnenstr.192, Prenzlauer Berg.

Ohne lange zu zögern, möchte man schon beim Blick auf die Schaufensterauslagen der Galerie Mainz dem dort ausstellenden Künstler namens Kehl im Geiste David Bowies die Textzeile „the return of the thin white duke“ entgegenrufen. Allerdings ist die Comicfigur im Zentrum der Siebdrucke und Leinwandarbeiten eine Heldin, die Kehl allerlei abstruse Situationen durchleben läßt – Madame X mit Revolver (denn „Happiness is a warm gun“), auf der Jagd nach einem Huhn oder im Zwiegespräch mit einem geblümten Hund. Fast alle Motive steuern in den sicheren Hafen einer späten „Flower-Power“-Ästhetik, auch die Farben sind beruhigend hippiesk gewählt: minzgrün ergänzt sich mit Flieder, Zitrus und Orange zu einem Potpourri des Sommers der Liebe. Man riecht förmlich den Stoff, aus dem die Mythen der Sixties gemacht wurden.

Doch das Revival wäre nur ein feuchter Blick in die weit zurückgelassene Ferne, hätte der Maler nicht auch den kunstgeschichtlichen Fundus dieser Zeit geplündert. Kehl orchestriert die klassische Moderne mit einfachen Mitteln. Die grobe Umrißzeichnung eines Toasters wird mit einigen Kleckerspuren des abstrakten Expressionismus versehen, doch das Tröpfeln eines Jackson Pollock bleibt nur angedeutet, zitiert. Daneben markieren zur Fläche gewordene Gegenstandsbilder von Rührmixgeräten und Braun-Rasierern die beständige Arbeit an der Pop-Art. Während jedoch Julian Schnabel oder David Salle in ihren Bildern einen noch immer vorherrschenden Glauben an solcherlei Zeichen aus der Warenwelt kolportieren, neigt Kehl bei aller comicartigen Überzeichnung der Gebrauchsgegenstände zur naiven Unmittelbarkeit. Die Ironie wird als konstantes Spiel mit einer nicht wandelbaren Wirklichkeit berechenbar und letztendlich harmlos.

„Chicken Chase Parade“, bis 28.1., Di-Fr 15-18 Uhr, Sa 10-13 Uhr, Blücherstr.66a, Kreuzberg. Harald Fricke