Ostschein für Westkonzerne

■ Renaissance der Ostprodukte: Doch hinter den alten Namen versteckt sich in den meisten Fällen ein Westunternehmen / Geschmacksnerven der Konsumenten reagieren sensibel

Der Osten ist eine Mogelpackung. Kaum ein altes DDR-Produkt, das nicht unter die Fittiche westdeutscher Konzerne genommen wurde. Eine Ausnahme bildet das Wernesgrüner Bier, derzeit nicht nur in der Ostberliner Kneipenszene ein beliebtes Rauschmittel. Doch die Wernersgrüner Brauerei AG im Erzgebirge steht unter mächtigem Druck aus den alten Bundesländern. Anfang der Woche hatte mit der Brau und Brunnen AG aus Dortmund einer der größten Getränkekonzerne mit der Treuhandniederlassung in Chemnitz vereinbart, 49 Prozent der Aktien zu übernehmen. Die Nachfahren der Alteigentümerfamilie Männel, der noch 51 Prozent der sächsischen Brauerei gehört, wehrt sich jedoch vehement gegen eine Übernahme und möchte lieber einheimische Partner gewinnen – der Ausgang des Streits ist noch offen.

Abgesehen von solchen Kleingefechten ist der Getränkemarkt von Westkonzernen fast vollständig beherrscht. Besagte Brau und Brunnen AG hält in der Hauptstadt mit der Berliner Pilsener Brauerei und der Spreequell Mineralbrunnen GmbH zwei potente Tochterunternehmen. Das Berliner Pilsener (Motto: „Das Bier von hier“) steht nach Angaben des Unternehmens im Ostteil der Stadt an der Spitze, im Westen hält man immerhin Platz drei. Auf dem Weißenseer Produktionsstandort von Spreequell wird seit der Jahreswende 91/92 ein altes Nostalgieprodukt wieder abgefüllt: die Club-Cola. Marketingleiter Michael Marquardt bekennt offen, daß auf dem von amerikanischen Herstellern dominierten Markt die Ost-Cola nur ein „Nischenprodukt“ ist. Im Raum Berlin und Brandenburg halte man einen Marktanteil von „rund einem Prozent“. Weit mehr Aufsehen als das Getränk selbst erregte im vergangenen Jahr ein Kinospot des Unternehmens, im dem mit einem Zusammenschnitt alter DDR-Propagandafilme für das Erfrischungsgetränk geworben wurde. Seit Juli 1993 wird in Weißensee auch die Club-Cola-White hergestellt, das erste Cola-Getränk ohne Farbstoffe. Noch hält sich der Handel, wie Marquardt erklärt, mit Bestellungen für das neue Produkt „reichlich bedeckt“.

Viele Ostwaren mußten sich nach der Übernahme westdeutscher Handelsketten erst wieder ihren Platz im Regal zurückerobern. Eine Benachteiligung schließt der Geschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, Nils Busch-Petersen, heute jedoch aus: „Das Marktsegment ist ganz klar im Wachstum begriffen.“ Mittlerweile haben auch in edleren Häusern Ostprodukte einen guten Ruf. Im KaDeWe sind neben Wurst aus Thüringen, Karpfen aus Peitz auch so exotische Dinge wie Wein aus Meißen im Angebot. Bei den meisten Erzeugnissen fällt es schwer, noch auf die Herkunft zu schließen, wie KaDeWe-Sprecherin Karin Tauer erklärt: „Die Waren aus den neuen Ländern haben sich so gut etabliert, daß wir nur noch mit dem Signet ,Deutschland‘ für sie werben.“

Von einseitigen Schuldzuweisungen für den Niedergang vieler ostdeutscher Produkte hält Einzelhandelsverbands-Geschäftsführer Busch-Petersen nichts: „Der Einbruch kam doch auch durch die Ostkonsumenten, die ihren Produkten besonders nach der Wende das Vertrauen entzogen haben.“

Wie empfindlich die Ostverbraucher auf Veränderungen reagierten, mußte nicht zuletzt der Tabakkonzern Reemtsma aus Hamburg erfahren. Als nicht nur die Verpackung der frisch erworbenen Ostzigarette Cabinet verändert, sondern auch der Kondensatwert von 20 Milligramm auf die EU- Norm von 15 Milligramm heruntergesetzt wurde, reagierten die Geschmacksnerven vieler Raucher höchst empfindlich. „Wir mußten eine Kundenverschiebung zur f 6 hinnehmen“, wie Konzernsprecher Christoph Walther bestätigt. Die f 6-Konkurrenz war zum damaligen Zeitpunkt bereits in den Händen eines Westunternehmens – dem Philip-Morris-Konzern. In Zeitungsanzeigen entschuldigte sich der Hamburger Zigarettenhersteller bei den verprellten Kunden und versuchte schließlich mit der im November 1990 auf den Markt geworfenen Cabinet Würzig die alte Stammkundschaft zurückzugewinnen. Ende letzten Jahres rangierten die beiden Cabinet-Marken „Würzig“ und „Mild“ mit 9,7 Prozent auf dem Ostmarkt hinter der unangefochtenen „f 6“ mit 31,4 Prozent. Prächtig entwickelt hat sich hingegen ein Dauerbrenner aus alten DDR-Zeiten: der Echte Nordhäuser Doppelkorn. Der thüringischen Spirituosenfabrik Nordbrand Nordhausen, seit Mai '91 ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der westdeutschen Eckes AG, scheint die wirtschaftliche Krise gut zu bekommen. Der Umsatz der 25 Erzeugnisse konnte in den letzten zwei Jahren um 100 Millionen Mark gesteigert werden. Severin Weiland