■ „Wer sich politisch engagiert, macht sich Feinde. Wer sich gegen Nazis engagiert, macht sich militante Feinde.“
: Die am lautesten schreien, sind am wenigsten gefährdet

Neulich in der U-Bahn, ein studentisches Pärchen. Sie: „Meinst du, wir steh'n auch da drin?“ Er: „Nee, wieso denn?“ Sie: „Wir haben doch diesen Appell zum Artikel 16 unterschrieben. Und bei der Versammlung neulich hab' ich mich doch auch zu Wort gemeldet gegen die Faschos, und hintendrin saß dieser Skinhead ...“ Er: „Den hab' ich gar nicht gesehen. Aber wenn der das weitergemeldet hat...“

Da hat ein renommierter Bielefelder Jugendforscher Angst, sich öffentlich zum Thema „Nazi- Rock“ zu äußern; da spielt ein verzweifelter Wortfighter gegen Rechts mit dem Gedanken, seine Lebensabschnittspartnerin zu verlassen, um sie nicht zu gefährden; da läßt ein Literaturkritiker, der vor Monaten einen antirassistischen Jugendroman euphorisch rezensierte, seine eintreffenden Buchpakete von der Kripo öffnen. Gute Freunde raten meiner Mitarbeiterin, doch unverzüglich den „gefährlichen Job“ in der Nähe meines Posteingangs zu kündigen – und der Berliner „Abendschau“- Reporter erkundigt sich routinemäßig vor Sendebeginn in solidarischem Tonfall, wie's denn so geht...

Da vergißt man mal, die Telefonrechnung zu begleichen, ist also zwangsläufig „im Augenblick nicht zu erreichen“, und schon basteln Kollegen an einem Artikel in der Gewißheit, man sei „sicherlich wegen der ,Einblick-Sache‘ abgetaucht“. Kaum ein Tag verging in den letzten Wochen, an dem nicht irgendein Journalist oder sich sonstwie links fühlender Mensch mein Telefon belegte: „Du hast doch bestimmt diese Liste? Steh' ich auch drin?“

Ich gestehe, ich habe das Ding bis heute nicht gelesen. Ein Belegexemplar habe ich nicht bekommen, und das bedeutet wohl, daß ich nicht darin stehe. Das tut weh (ein wenig eitel ist man ja doch), aber letztlich ist es schon okay. Irgendwann wurde man ja mal Journalist, um die Öffentlichkeit aufzurütteln, was natürlich nicht funktionierte, und blieb es dann trotzdem, als man merkte, daß man eigentlich doch zu faul ist, sich richtig zu engagieren, und lieber voyeuristisch in der ersten Reihe sitzt.

In der gesamten Republik gibt es nicht mehr als ein Dutzend JournalistInnen, die sich kontinuierlich mit der Neonazi-Szene befassen und in ihr/über sie recherchieren. Die haben sicherlich berechtigten Grund, sich angesichts der neuen (?) terroristischen Militanz ihrer Klientel Sorgen zu machen (waren Fahndungslisten bisher doch eigentlich das Privileg von links gegen rechts und nicht umgekehrt) – ebenso einige Dutzend Sozialarbeiter-, Filmemacher-, PolizistInnen und die mehrere hundert aktiven AntifaschistInnen vor allem aus der autonomen Antifa. Doch nichts für ungut: Wer jahrelang predigt „Nazis sind Schweine“, kann sich doch wohl nicht ernsthaft wundern, wenn diese sich dann wirklich als Schweine entpuppen und nicht als lupenreine „Keine Gewalt!“-Demokraten. Wer sich politisch engagiert, schafft sich Feinde (oder er macht was falsch); wer sich gegen militante Nazis engagiert, schafft sich militante Feinde. Engagement ohne Risiko gibt es nur bei der SPD.

Merkwürdigerweise machen sich jetzt massenhaft genau die Leute Sorgen um ihre körperliche Unversehrtheit, die es nicht verdient haben, von Nazis durch Aufnahme in eine Haßliste geadelt zu werden. Vielleicht hatte „Klasse gegen Klasse“-Heroe M. nicht ganz unrecht, als er neulich im „Franken“, durch den Genuß zahlreicher Weizenbiere redselig gestimmt, erklärte, warum ein paar Nazi-Briefbomben und Anti-Antifas gar nicht so schlecht wären – würde sich doch nun endlich die Spreu vom Weizen trennen: Die dekadenten Mitläufer, die mit ihrem wachsweichen Gewäsch nur den „aufrechten Kampf“ behinderten, zögen sich nun zurück und überließen der wahren working class das Feld ...

Die Hauptopfergruppen der rechten Gewalt sind nicht Promis und erst recht nicht Publizisten – also jene, die sich beruflich Sorgen um die Gesellschaft und nun auch um sich selber machen. Selbst JournalistInnen wurden während der Haß- und Gewaltexplosion der letzten Jahre eher zufällig und nur ausnahmsweise attackiert, eher umworben als bedroht. Und das nicht nur, weil sie die Neonazi- Szene seitdem mit einigen hunderttausend Deutschen Mark Honorar gesponsert haben (diverse Fälle von bezahlten Interviews und für das Fernsehen nachgesteller „Action“ gegen Vergütung wurden bekannt), sondern auch, weil sie die Szene, die sie abbilden, damit bestätigen.

Die Opfer der Rechtsradikalen waren und sind bis heute in der Regel Menschen ohne Lobby und Namen: Farbige und andere „undeutsch“ Aussehende, Obdachlose, Drogenkranke ... – es ist ein Bürger-Krieg gegen die sozial Schwachen. Doch die jammern nicht allabendlich in Talkshows über die Gefährdungen ihres Lebens – sie haben auch keinerlei Gelegenheit dazu.

Die Wahrscheinlichkeit, spontan von einem Auto überrollt oder schleichend dank jahrelangem Genuß Berliner Luft in eine höhere Existenz transzendiert zu werden, scheint mir für unsereins immer noch ein wenig größer zu sein als die, von normalen Raubmördern oder durchgeknallten Nazis gemeuchelt zu werden. Wobei allerdings nur die letzte Todesart einem die Aufnahme in die ewige Chronik des Frankfurter Archivs für Sozialpolitik und eine positive Würdigung im Antifa-Info gewährleistet. Immerhin.

Der Sinn von solchen Haßlisten ist nicht in erster Linie der Versand von Briefbomben, sondern die Verbreitung von Angst davor. Angst vor möglichen Gewalttaten soll vermeintlich aktive Linke/AntifaschistInnen davon abhalten, sich weiter zumindest öffentlich zu engagieren. Mit ihrer offenbar eilig und schlampig und unter anderem aus alten Datenbänken zusammengestoppelten Einblick-Liste haben die Neonazis ihr Ziel erschreckend schnell erreicht: allerorten Weinerlichkeit, „Betroffenheit“, Paranoia, statt – und das wäre die einzig angemessene Reaktion – den Nazis trotzig den Mittelfinger zu zeigen und zu sagen: Jetzt erst recht!

Wer sich nun zitternd überlegt, sich in der nächsten Zeit doch lieber nicht mehr so aus dem Fenster zu hängen (oder sogar eine neue Wohnung zu beziehen, um gleich das Fenster zu wechseln), der soll das machen – aber bitte schamvoll schweigend und ohne öffentliches Gejammer. Klaus Farin

Klaus Farin veröffentlichte (mit Eberhard Seidel-Pielen) zuletzt: „Skinheads“ (C.H. Beck Verlag), „Ohne Gewalt läuft nichts“ (Bund Verlag).