Beamte sind es leid zu dienen

Aufstände der argentinischen Staatsdiener / Staatsverschuldung schafft Zwickmühle zwischen Massenentlassungen und Finanzverweigerung des IWF  ■ Von Astrid Prange

In Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires beschränken sich die Armen darauf, leerstehende Häuser zu besetzen. In der Provinz plündern sie Regierungspaläste. Argentiniens neoliberale Wirtschaftsreform steht auf dem Prüfstein: werden die öffentlichen Finanzen saniert, drohen Massenentlassungen. Bleibt es bei der hohen Verschuldung von Bund und Ländern, verweigert der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land die notwendigen Finanzspritzen.

In der Vorweihnachtswoche probten Tausende von Staatsdienern in den Provinzen Santiago del Estero und La Rioja den Aufstand. Die Demonstranten legten Feuer im Regierungspalast von Santiago del Estero, plünderten Villen lokaler Politiker und verkauften den erbeuteten Whisky auf der Straße. Der Polizei ging nach kurzer Zeit die Munition aus. Zusammen mit dem Gouverneur von Santiago del Estero, Eduardo Lobo, verschanzten sich die Ordnungshüter in ihrem Quartier und warteten auf Unterstützung aus Buenos Aires.

Seit Monaten kein Lohn

„Es reicht. Wir halten es vor Hunger nicht mehr aus“, empört sich die Demonstrantin Beatriz S. Seit September bekommt die Lehrerin ihr Gehalt in Höhe von 230 Dollar, ein Fünftel dessen, was eine Familie monatlich zum Überleben braucht, nicht mehr ausgezahlt. Damit nicht genug: Nach einem vom Landtag in La Rioja kürzlich verabschiedeten Gesetz sollen in der Provinz 7.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden. Im Gegensatz zu der Heerschar von Mindestlohn-Beamten beziehen die Richter der Provinz ihr üppiges Gehalt von 14.000 Dollar und selbstverständlich auch die Lantagsabgeordneten (10.000 Dollar) ihre Diäten pünktlich.

Der Volkszorn richtet sich gegen die Zentralregierung in Buenos Aires, die im Namen der Sparsamkeit ausgerechnet in den ärmsten Provinzen Argentiniens den Rotstrich ansetzen will. Präsident Carlos Menem, von 1973 bis 1976 Gouverneur von La Rioja, kennt die Problematik seiner Heimat nur zu gut: Bis zu achtzig Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung arbeitet für den Staat. Ansonsten beschränkt sich die wirtschaftliche Aktivität auf das Anpflanzen von Baumwolle.

Beamtenstellen waren früher ABM-Maßnahemn

Während seiner Amtszeit als Gouverneur von La Rioja schuf Menem 10.000 neue Stellen im öffentlichen Dienst, um die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit von rund 14 Prozent in der Region abzumildern. Auch seine Kollegen bedienten sich des sicheren Rezepts für den politischen Aufstieg: Von 1983 bis 1991 wuchs die Zahl der argentinischen Staatsdiener in den Provinzen um 685.000 auf 1,37 Millionen Beamte.

Die überraschende Revolte in der Provinz kann nicht nur Argentiniens Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, verantwortlich für das neoliberale Reformprogramm, den Kragen kosten. Sie könnte auch den Plänen von Präsident Menem, sich 1995 erneut zum Staatsoberhaupt Argentiniens küren zu lassen, einen Strich durch die Rechnung machen.

Menem war es im November gelungen, durch einen Pakt mit seinem politischen Widersacher Raul Alfonsin, Vorsitzender der Oppositionspartei „Union Civica Radical“ (UCR), eine Verfassungsänderung zu seinen Gunsten in Gang zu bringen. Gegen eine Verkürzung des Präsidentschaftsmandates von sechs auf vier Jahre willigte Alfonsin ein, die Klausel, die eine unmittelbare Wiederwahl des Staatsoberhauptes verbietet, aus der argentinischen Magna Carta von 1853 zu beseitigen.

Streit zwischen der Zentrale und Provinz

Menems persönliche Ambitionen könnten zu einem politischen Bumerang werden. „Die Bedürfnisse des Volkes haben mit der Wiederwahl Menems nichts zu tun“, kritisiert Enrique Oliveira seinen Parteivorsitzenden Alfonsin. Jose Zavalia, UCR-Chef in Santiago del Estero, fordert den Rücktritt von Wirtschaftsminister Cavallo, weil er sich als unfähig erwiesen habe, seine Beamten rechtzeitig zu bezahlen. Cavallo hingegen wirft den Gouverneuren des verarmten Nordostens vor, die Rebellion selbst verschuldet zu haben, da sie sein Wirtschaftsprogramm, sprich Budgetkürzungen und Entlassungen, nicht rechtzeitig in die Tat umgesetzt hätten.

Während der Unmut der Provinzbewohner wächst, schüttet der Wirtschaftsminister in Buenos Aires einflußreichen Unternehmern sein Herz aus: Er befürchte, so Cavallo, daß bei der bevorstehenden Verfassungsreform auch wirtschaftliche Aspekte behandelt werden könnten. „Wenn wir eine brasilianische Verfassung bekommen, werden die Investitionen an Argentinien vorbeifließen“, warnt Cavallo. Unter dem Adjektiv „brasilianisch“ versteht der argentinische Wirtschaftsminister die Festschreibung von Arbeitnehmerrechten wie Mindestlohn, Mutterschaftsurlaub oder Arbeitszeit in der Verfassung.

Privatisierung als Programm

Cavallo will die Verfassungsreform dazu nutzen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: finanzkräftige Investoren anzulocken und den Verkauf von vielen Staatsbetrieben zu vollenden. Er kämpft deswegen um die hundertprozentige Privatisierung des argentinischen Mineralölkonzerns YPF.

Seit vergangenem Juli sind bereits 45 Prozent der Aktien des lukrativen Unternehmerns verkauft worden. Doch nach argentinischem Recht müssen 20 Prozent der Aktien im Besitz des Bundes bleiben. Elf Prozent des Firmenkapitals in Höhe von 353 Millionen Dollar halten die Bundesländer, weitere zehn Prozent sollen an die von 50.000 auf 8.000 reduzierten Angestellten verteilt werden. „Die Länder brauchen Geld. Das Gesetz könnte sich 1994 ändern“, spekuliert YPF-Vorstandsmitglied Cedric D. Bidger.