Die Bürger werden Opfer von Kampagnen, die sie selbst bezahlen

■ Parteienwerbung im „Superwahljahr '94“

Das „Fußvolk“ wird längst schon auf den Wahlmarathon eingeschworen. „Knochenharte Maloche“ verspricht der gerade erschienene „Wahlkalender“ von Bündnis 90/Grüne den Parteisoldaten für die kommenden Monate und stellt schon einmal wichtige Fragen: „Wer geht zur Diskussionsveranstaltung, wer darf ins Fernsehen, wer sitzt im Büro, wer stellt sich an den Stand, wer klebt die Plakate?“ Was die Parteisoldaten für ein paar gute Worte und für die gemeinsame Sache tun, lassen sich die professionellen Werber von den Parteien gut bezahlen.

Ihre Aufgabe ist allerdings im Jahr des Wahlmarathons auch so schwierig wie selten zuvor. „1994 ist die größte Herausforderung in der Geschichte der politischen Werbung der Bundesrepublik“, glaubt Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. Der Grund ist für den Kommunikationsprofi offensichtlich: „Noch nie hat sich eine so große Frustration in den verschiedenen Wählerschichten breitgemacht.“

Auch Christian Monzel von der Düsseldorfer Agentur Michael Schirner hält in diesem Jahr das Produkt nicht für attraktiv, das es zu verkaufen gilt: „Das Image der Parteien und Politiker ist im Moment so tief im Keller wie seit Jahrzehnten nicht.“ Daß bis zu 40 Prozent der Wahlberechtigten sich vorstellen können, gar nicht zur Urne zu gehen, wundert den Etatdirektor nicht.

Selbstbedienungsskandale, Parteienfilz und Hilflosigkeit angesichts der Rezession und sozialer Probleme haben den Bonus aufgezehrt. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Parteien ist dahin. Das bringt für die Werber Probleme: „Wenn das Produkt in Ordnung ist und man sich um eine kreative Kommunikation bemüht, langweilt es die Adressaten nicht. Aber wenn das Produkt nicht stimmt, ist das anders“, weiß Werner Dierker vom Deutschen Kommunikationsverband. Und das Produkt stimmt nicht. Hatten vor zehn Jahren noch die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die Parteien und die Politiker, so waren es 1992 laut Emnid nur noch 21 Prozent.

Dazu kommt noch eine zweite Herausforderung für die Werber: Der Wahlkampf dauert in diesem Jahr fast zehn Monate. Wenn im TV immer wieder die gleichen Köpfe mit den ewiggleichen Floskeln ähnliche Ereignisse kommentieren, wenn erst bei der Kommunal-, dann bei der Landtags-, bei der Europa- und schließlich bei der Bundestagswahl Prospekte den Briefkasten verstopfen, reagieren die Menschen „nicht nur mit Ermüdung, sondern auch mit Aggressivität“ (Nickel).

Was in der freien Wirtschaft üblich ist, gilt auch in der Politik: Für die Werbung müssen die Umworbenen bezahlen. Die Wahlkostenerstattung für Europa- und Bundestagswahlen wird nach der Anzahl der Stimmen abgerechnet. Mehrere Hundert Millionen Mark, so wird geschätzt, stecken die Parteien 1994 in die Werbung – für die betrauten Agenturen, für Plakatwerber und vor allem für Zeitungsverlage ein willkommenes Geschäft. Von den im Bundestag vertretenen Parteien wird Bündnis 90/Grüne am sparsamsten wirtschaften – die Konsumkritiker wollen mit einem Etat von 5,5 Millionen Mark auskommen, allerdings durch den Verkauf von Ökoprodukten noch etwas Geld hinzuverdienen. Am meisten hinblättern wird voraussichtlich die SPD: Bis zu 100 Millionen könnte ihr Wahlkampf kosten.

Zwar ist Nickel überzeugt, daß die Agenturen sich so stark wie selten bemühen werden, die Parteien vom eingefahrenen Gleis dröger Propaganda zu locken. Aber nach Gesprächen in Parteizentralen und Agenturen ist der Werbewirtschafts-Sprecher wenig zuversichtlich, daß die Parteien den Kreativen die Freiheit lassen, eine „Bewerbung“ um die Gunst der Wähler zu formulieren. „Das haben die noch nicht kapiert, daß der Bürger umworben werden will“, glaubt er und fürchtet, daß die alten Fehler auch im Superwahljahr 1994 wieder gemacht werden: „Das wird eine Schlammschlacht.“ Hans Monath, Bonn