■ Stadtmitte zur Länderehe Berlin-Brandenburg
: Die Zukunft beginnt bei Ikea

Bündnis 90/Die Grünen in Berlin sind mehrheitlich für die Fusion von Berlin und Brandenburg, ohne eine Pauschalbefürwortung abzugeben. Inhaltliche Kriterien werden letzten Endes entscheiden, ob wir einem Neugliederungsstaatsvertrag im Abgeordnetenhaus zustimmen und ob wir dem Volk in dessen Abstimmung empfehlen, ihn zu bejahen. Drei Punkte sind dabei zentral:

1. darf es keinen Beitritt des einen zum anderen geben. Die Verfassung ist konstitutiv für die Gründung des neuen Bundeslandes. Was da drinsteht, muß vor der Fusion klar sein. Der Volksentscheid darüber muß am Wahltag zum 1. Landtag stattfinden. In diesem Punkt ist man unseren Vorstellungen schon gefolgt und wird dies im Staatsvertrag festschreiben. Problematisch wird es dann in der nächsten Legislaturperiode, weil die CDU beider Länder die fortschrittlichen Inhalte der Brandenburger Verfassung ablehnt.

2. darf das gemeinsame Land finanziell nicht schlechter gestellt sein als die beiden getrennten. Bisher konnten sich beide Landesregierungen nicht über die innere Finanzverteilung einigen. Der Kompromiß von letzter Woche ist nur ein erster Schritt: Daß Berlin soviel Geld vom Land erhält, versteht sich fast von selbst. Entscheidend sind jedoch die Detaillösungen, die seit einem Jahr erarbeitet werden sollen. Der Finanzminister Kühbacher schwieg Donnerstag, und so wird das Hickhack vermutlich weitergehen. Ohne eigene Einigung wird es nicht ein Zugeständnis durch die anderen Bundesländer für die Gelder im Länderfinanzausgleich und als übergangsweiser Ersatz für das Stadtstaatenprivileg kaum geben.

3. muß die wirtschaftliche und infrastrukturelle Entwicklung der gesamten Landesfläche Ziel aller sein. Das Konzept der „Dezentralen Konzentration“ mit gezielter Förderung Berlin-ferner Räume müßte schon jetzt Praxis werden. Gegenwärtig will der Senat in der Flächennutzungsplanung Wohnbau- und Gewerbeflächen in Berlin massieren, als ob die Mauer noch stünde. In Brandenburg wird der „Speckgürtel“ gemästet. Wer wissen will, wie die getrennte Zukunft aussieht, der besuche Ikea in Waltersdorf, das auch ein Raumordnungsminister Platzeck nicht verhindert hat. Hier wird die Notwendigkeit der Fusion beider Bundesländer für jede/n anschaulich.

Die verheerenden Folgen des Aneinander-vorbei-Planens können nur in einem Rechts- und Steuergebiet verhindert werden. Es ist klar, daß die Vereinigung nicht einfach wird, besteht doch eine einmalige Situation: Die größte deutsche Stadt mit ihren drei Millionen Einwohnern, mit Wachstum, mit Westberliner Wohlstandsniveau muß in ihr wenig besiedeltes und entwickeltes ostdeutsches Umland integriert werden. Das Problem steht so oder so. Aber die Alternative zum gemeinsamen Wachsen ist nicht Kooperation, sondern wachsende Konkurrenz. Die Konkurrenz ergibt sich allein aus dem Steuersystem und dem „natürlichen“ Interesse, das nur der viel hat, der viel Gewerbe und Wohnungsbau an sich zieht. Berliner Politiker müssen das Wohl der Stadt mehren, Potsdamer das ihres Landes. Nur in einem Land werden sie die Chance und den Willen haben, die Fragen der Gesamtregion zu ihren eigenen zu machen. Wer weiß, woher die Fusionsgegner die Zuversicht nehmen, daß die Vereinigung durch politische Spielchen schon zu verhindern sein wird. Die großen Lobbygruppen haben sich dafür ausgesprochen. Wirtschaftsverbände, der DGB, die Kirchen usw. handeln längst nach dem Motto „Ein Land – eine Stimme“. Verkehr, Arbeitsmarkt, Planungsraum, Wohnungs- und Baumarkt sind längst zusammengewachsen oder wollen. Einzig der gemeinsame Rechts- und Verwaltungsraum fehlt.

Die Politik muß also jetzt dem Leben folgen. Sonst wissen wir doch: Die Geschichte in ihrem Lauf halten weder Ochs' noch Esel auf. Auch dann nicht, wenn sie berühmte Namen haben und sie die Angst beschleicht, zu Führern unbedeutender ostdeutscher Regionalparteien zu werden. Uwe Lehmann

Der Autor ist Mitglied des Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus.