Japanisierendes Kauderwelsch

■ Das Orphtheater inszeniert Yukio Mishima im Tacheles

Was wäre wohl aus der westlichen Kultur ohne den Exotismus, ohne Chinoiserie, Orientalismus, Japonismus und dergleichen mehr geworden? Ohne die Vorstellung vom „guten Wilden“, von dem man annahm, daß er sorglos und friedfertig in harmonischem Einklang mit der ihn umgebenden Natur lebe, hätte Rousseau seine Zivilisationskritik nicht geschrieben, von Goethe bis Döblin würde manches Meisterwerk in unseren Bücherregalen fehlen, und schon in unseren Jugendjahren hätten wir ohne Robinson und Winnetou auskommen müssen.

Gegen Exotismus, so viel steht fest, ist nicht unbedingt etwas Negatives zu sagen. Allerdings wirft der Exotismus auch Probleme auf, die vor allem in der ihm immanenten, reduzierten Wahrnehmungsweise liegen: Die Begeisterung für das Fremde, die Aura, mit der die Angehörigen einer anderen Kultur ausgestattet werden, die grundsätzlich positive Bewertung des Fremden ist im Prinzip eine regressive Form menschlichen Weltverstehens. Exotismus, als Leiden an der eigenen und Sehnsucht nach der fremden Gesellschaft, bringt nicht nur große Theoreme und Kunstwerke hervor, sondern treibt seltsame Blüten in obskuren Sekten und Werken, deren kreative Potentiale von regressiven Schlünden nachhaltig zum Verschwinden gebracht worden sind.

Ein Beispiel für solche Verwirrung ist zur Zeit im Tacheles zu besichtigen. Das Orphtheater hat sich dem japanischen Dichter Yukio Mishima zugewandt und angeblich zwei seiner Noh-Dramen, „Hanjo“ und „Kantan“, inszeniert. Zu sehen gab es allerdings nur einen schwerwiegenden Fall von Schwachsinn, den zu unterbieten noch das letzte Off-Theater große Mühe haben sollte. Japan pur wird geboten: Die Mädels verrenken die Arme zu bizarren Geisha-Posen, und die Jungs sind Karate- Kerle, daß es nur so kracht. Dezente Kajalstriche sorgen für einen Hauch von Schlitzäugigkeit, und die in bester Tiefkehlen-Manier ausgestoßenen Wortfetzen, die den Eindruck von erdachtem Kauderwelsch erwecken, sind in Wirklichkeit echtes Japanisch: Die Namen der dramatis personae, die sich die Schauspieler zurufen.

Was sich als Persiflage zu wahren Höhen emporschwingen könnte, ist leider bitterer Ernst: Wir sind auf Spurensuche, die Ursprünge des Noh-Theaters (von denen die dekadenten japanischen Noh-Theater ja keine Ahnung haben) hat der Regisseur Michael Kulow mit seiner sechsköpfigen Truppe erforscht und bringt sie nun vor unseren dankbaren Augen zur Entfaltung. Daß erst durch ein Mitreflektieren der Distanz zum Noh und zu Japan eine Annäherung möglich wird, so weit wurde ganz offensichtlich nicht gedacht. Statt dessen wird eine verlogene Identität behauptet, die selbst manchmal gelungenen Bildern ihren Gehalt austreibt.

Was das alles mit Mishimas Dramen zu tun haben soll, bleibt ein Geheimnis. Man kann davon ausgehen, daß zwei Karatekämpfer aufeinander einschlagen, weil sich Mishima für Bodybuilding und Militär interessierte, und daß ein Schauspieler des öfteren Saltos schlägt, hängt wohl damit zusammen, daß er es kann.

Daß Mishima gegen Verwestlichung und für japanischen Traditionalismus eintrat, mag ein Grund für das Orphtheater gewesen sein, sich seine Dichtung als Vorlage zu nehmen. Mishima ist darüber zum Faschisten geworden, und vielleicht sollten sich die Orph-Leute einmal fragen, ob sie mit ihrem unreflektierten Hang zum Exotismus nicht in eine merkwürdige Kerbe schlagen.

Daß die Schauspieler nicht gänzlich unbegabt sind und der Regisseur durchaus über szenische Phantasie verfügt, macht diesen Abend nicht erträglicher. Das im Programm abgedruckte Arbeitsgespräch hilft dem ob so viel bodenloser Dummheit schon ganz betäubten Zuschauer auch nicht sehr viel weiter: „Die Trauer will ich ausleben wie das Glück. Denn um Neues zu beginnen, muß ich das Alte beenden“, und „Der Tod ist doch falsch verstandener Egozentrismus“. Amen. Michaela Schlagenwerth

Weitere Aufführungen vom 11.–16.1., 21 Uhr, im Theatersaal des Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte.