Betr.: "Alle vegetieren dahin", taz vom 22.12.93

[...] Was für Sie da so enigmatisch boomt, ist zweifelsohne ein investorisches Wagnis, bei dem täglich Hunderttausende von Mark in bauliche Hardware verwandelt werden. Was daran so niemandsdisneyländisch sein soll, kann ich nicht verstehen. Im Gegensatz zu Eurodisney, das von manchen Franzosen als kulturelles Tschernobyl angesehen wird, wird in der Friedrichstraße im Zeitraffertempo eine außerordentlich erwünschte Entwicklung nachgeholt, die durch die besonderen Umstände der deutschen Teilung jahrzehntelang nicht möglich war.

Daß für einige Jahre ein gewisser Interessenkonflikt zwischen den schon Gewerbetreibenden und den neue Gebäude und damit neue Gewerbemöglichkeiten schaffenden Entwicklern bestehen würde, war uns allen frühzeitig klar. Daher unser unbedingtes Bestreben, ohne staatliche Bevormundung frühzeitig einen Runden Tisch zu schaffen, um die unausweichlichen Probleme einer solch stürmischen Entwicklung mildern zu können. Das ist bisher auch ganz gut gelungen – nur scheinen Sie und einige andere Damen und Herren von der Presse dies nicht wahrhaben zu wollen. Wo kein Blut fließt, ist kein Geld zu verdienen – oder?

Die wirkliche Problematik der Friedrichstraße bestand in der Vergangenheit streckenweise darin, daß scheinbar der Senat sich nicht darüber im klaren war, was er am behördlichen Engagement und Fleiß den Entwicklern und den schon jetzt ihr Gewerbe Ausübenden schuldete, damit diese alle zusammen nicht an ihrer jeweiligen Pionierhaltung zu große Zweifel hegten. Durch vielfältige Kontakte zwischen den Investoren und dem Senat ist mittlerweile ein gedeihliches, vom gegenseitigen Vertrauen geprägtes zwischenmenschliches Klima entstanden, das nur ab und zu Rückfälle aufweist. Ein solcher Rückfall ist das, was sich derzeit um die Skanska-Passage abspielt: Hausbesetzer – die zugegebenermaßen küntlerisch nicht unkreativ sind – diktieren hier in einer weltweit einmaligen Art und Weise einem Großinvestor ihre „Bedingungen“, die früher lediglich verlangten, daß die Besetzung nachträglich durch einen zu sehr günstigen Konditionen abgeschlossenen Mietvertrag abgesegnet würde, heutzutage aber scheinbar so aussehen, daß der Investor aus den Erträgen eines Gebäudes, das er mit eigenem Kapital auf gekauftem Grund und Boden errichtet, eine andauernde „Entsetzungsprämie“ an die Leute vom Tacheles bezahlen muß, nur damit er sein Geld investieren darf! [...]

Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Dr. Heuchemer, Vorsitzender der „Interessengemeinschaft Gewerbetreibender an der Friedrichstraße e.V.“, von einem allgemeinen Dahinvegetieren der Geschäfte in der Friedrichstraße gesprochen haben könnte. Daß er in dankenswerter Weise in der Vergangenheit – mit unser aller Unterstützung und Zuspruch – versucht hat, Senatsschläfer wachzurütteln, verdient Anerkennung und ist von großer Wichtigkeit für die zukünftige Entwicklung der Geschäftstätigkeit in der Friedrichstraße. Es wäre natürlich ungut, wenn durch mangelndes Interesse und zuwenig vorbereitende Aktivität der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe einerseits, Bau- und Wohnungswesen andererseits die fix und fertigen Friedrichstadt-Passagen 1995 auf ein noch weit von der Perfektion befindliches, inbesondere tiefbaulich und verkehrserschließungsmäßig unterentwickeltes Umfeld treffen würden. Wenn der Senat hier versagen würde, wäre das schon eine enorme Zumutung an die Entwickler und die zukünftigen Gewerbetreibenden dort. Aber: Let's give them the benefit of the doubt – wir wollen ihnen den Vorteil des Zweifels einräumen. Peter Sommer