■ Aas bis Zombie – Lexikon informiert über „Letzte Dinge“
: Austernsuppe vor der Hinrichtung

Göttingen (taz) – „Es gibt Nachschlagewerke über Zierfische und Gartenbau, über Hunde und Weinsorten, aber weltweit kein einziges, das sich mit Sterben, Tod und Trauer beschäftigt.“ Zehn Jahre lang ließ diese Lücke im Literaturangebot dem Arzt und Psychologen Kay Blumenthal-Barby, der die Sterbeforschung seine Leib- und Magendisziplin nennt, keine Ruhe. Jetzt ist das Loch endlich gestopft worden.

Ende vergangenen Jahres hat der Augsburger Pattloch-Verlag das „Lexikon der Letzten Dinge“ (68 Mark) an den Fachbuchhandel ausgeliefert. Ideengeber und Co- Autor des rund 500 Seiten starken Wälzers ist Kay Blumenthal-Barby selbst. Als weitere Mitstreiter haben er und der Herausgeber Walter Beltz Archäologen, Völkerkundler, Naturwissenschaftler, Mediziner, Juristen, Theologen und Philosophen gewinnen können, oder besser: gewinnen müssen. Denn für Sterben und Tod, so Blumenthal-Barby im Gespräch mit der taz, „gibt es nun mal nicht den formal qualifizierten Experten“. Knapp 1.000 Stichworte – von Aas bis Zylinder – greift das Lexikon auf.

Dabei werden die Begriffe nicht nur in ihrer Wortbedeutung oder -herkunft erklärt; das Nachschlagewerk ist auch um die Allgemeinbildung des Publikums bemüht und wappnet es für zukünftige „Trivial Pursuit“-Partien. Leseprobe: „Die Henkersmahlzeit oder auch das letzte Gericht geht auf das altröm. Recht zurück und ist die einem zum Tode Verurteilten gewährte Stärkung für den letzten Weg. Maria Stuart bat z.B. um Brot und Wein, während sich Marie Antoinette mit einer Tasse Schokolade begnügte. Ein amerikanischer Gangster hingegen verspeiste in der Nacht vor seiner Hinrichtung eine Austernsuppe, diverse Zwischengerichte, gebratenes Huhn und zum Nachtisch Kaffee und Eiscreme.“

Anders der Leichenpaß. Hierbei handelt es sich um ein „für den grenzüberschreitenden Verkehr erforderliches Schriftstück. Enthält zum einen den beglaubigten Auszug aus dem Sterberegister und zum anderen die amtliche Bescheinigung, wonach gegen die Beförderung vom gesundheitlichen oder amtsärztlichen Standpunkt keine Bedenken bestehen und die Leiche vorschriftsmäßig eingesargt worden ist.“

Kay Blumenthal-Barby praktizierte zehn Jahre lang als Arzt in einem großen Krankenhaus der DDR. Bei dieser Arbeit sah er etliche Menschen sterben, mied aber, wie er sagt, „die meiste Zeit eine eigene Auseinandersetzung mit Tod“. Dabei sei er stets bemüht gewesen, den Sterbenden „gefaßt“ gegenüberzutreten, er habe „sicher gut funktioniert“. Doch habe ihm die unmittelbare und vor allem unerwartete Konfrontation mit dem Sterben immer einen Schrecken eingejagt – „so, als wenn ein Buntspecht plötzlich an meinen Balkon hämmerte“ [???; d.Säzzer].

Nach intensiver theoretischer Beschäftigung mit dem Thema sieht Blumenthal-Barby die letzten Dinge heute anders. Als bundesweit einziger Wissenschaftler, der sich hauptberuflich mit dem Lebensende und der „perimortalen Forschung“ beschäftige, sei er inzwischen „von Kopf bis Fuß auf das Sterben eingestellt“.

Selbst vor dem eigenen Tod hat er keine Angst mehr, wenn er das Ereignis auch nicht herbeisehnt. Blumenthal-Barby lebt gerne und bewußt, spielt „öfter mal einen Skat, und ich singe auch im Shanty- Chor“. Heute forscht und lehrt Bumenthal-Barby am Göttinger Universitätsinstitut für Medizinische Psychologie. Seine Vorlesungen und Seminare sind gut besucht. Zum Pflichtprogramm der bei ihm Studierenden zählen Besuche in einem Altersheim und im städtischen Krematorium. Reimar Paul