200. Todestag: Georg Forster, reisender Revolutionär

Kein anderer deutscher Schriftsteller, schrieb Friedrich Schlegel über Georg Forster, komme ihm an „Weltbürgerlichkeit und Geselligleit“ gleich: „Keiner ist so ganz gesellschaftlicher Schriftsteller wie er.“ Und weiter: „Unter allen eigentlichen Prosaisten, welche auf eine Stelle in dem Verzeichnis der deutschen Klassiker Anspruch machen dürfen, atmet keiner so sehr den Geist der freien Fortschreitung wie Georg Forster.“ Im Jahr 1797, als der junge Schlegel seine Hymne verfaßte, war es schon eine trotzige Tat, Forster mit Hilfe von Titeln wie „Gesellschaft“ und „Fortschritt“ zum Klassiker zu befördern.

Forster, ein Jahrzehnt zuvor noch ein Bestseller-Autor, war beim deutschen Publikum nämlich in Ungnade gefallen, weil er es bei den rituellen Bekenntnissen zur Perfektibilität der menschlichen Angelegenheiten, wie sie der frühbürgerliche Zeitgeist damals vorschrieb, nicht belassen hatte. Forster hatte sich, anders als die programmatisch apolitischen Geister der Weimarer Klassik, nicht mit Enthusiasmus für die Ideen der Französischen Revolution begnügt; er hatte die Seiten gewechselt – aus dem literarischen Aufklärer war ein jakobinischer Politiker geworden. Man hätte dem jungen Literaten seine Begeisterung für die Revolution wohl noch nachsehen können, wenn er schließlich öffentlich abgeschworen hätte. Forster aber hat sich niemals von seiner Rolle als Revolutionär distanziert, sondern stets – auch in vollem Bewußtsein der Greuel der „terreur“ – die Legitimität der Revolte verteidigt.

Forster war nicht erst durch die Revolution zum politischen Menschen worden. Er war als junger Mann mit jenen Sendboten des Frühkapitalismus durch die Welt gefahren, die damals im Auftrag der europäischen Majestäten zu den großen wissenschaftlichen Reisen aufbrachen. Als Achtzehnjähriger war er zusammen mit seinem Vater bei Captain Cooks zweiter Weltumseglung dabei, einer der größten Unternehmungen der Zeit. 1777, da ist Forster gerade 22, erscheint in London in englischer Sprache „A Voyage around the World“, die Beschreibung dieser Reise – ein Buch, das Natur- und Landschaftsbetrachtung, Geographie, Mineralogie, Ethnographie und Anthropologie vereint und seinen Autor außerordentlich populär machte. Das Kapitel über Tahiti endet mit einer Reflexion über die Herrschaftsverhältnisse, die sich über den zeitgenössischen Leserwunsch nach Südseeromantik – kaum einer der damaligen Berichte kam ohne „Garten Eden“- oder „Kythera“-Motive aus – hinwegsetzt. Forster torpediert darin die Ursprungsmythen über die Südseezivilisationen durch eine historisierende Beschreibung der Verhältnisse: Die Wilden haben eine Geschichte, die ebenso offen ist wie diejenige, als deren Pioniere die Entdecker sich erfahren: Sollte die tahitianische herrschende Klasse weiterhin die feudale Ordnung zu einem ungehemmten Despotismus ausbauen, prophezeit der Beobachter, so „wird das gemeine Volk diesen Druck empfinden, und die Ursachen desselben gewahr werden, alsdenn aber wird auch das Gefühl der gekränkten Rechte der Menschheit in ihnen erwachen, und eine Revolution veranlassen. Dies ist der gewöhnliche Cirkel aller Staaten.“

Georg Forster, der in seinen nur 38 Jahren mit der Avantgarde des Imperialismus die Welt erkundete, um dann, im gleichen Geist „freier Fortschreitung“, auf die Barrikaden zu gehen, ist hierzulande immer noch kein Klassiker. Vielleicht könnte man sich nun, da es doch zum unverbindlichen Sport geworden ist, den deutschen Provinzialismus zu beklagen, endlich dazu bequemen, den Weltbürger Forster mit einem Denkmal heimisch zu machen. jl/Abb.: Insel Verlag