Pragmatismus statt großer Rhetorik

Kongreß der slowakischen Ungarn setzt auf Verhandlungen / Weil niemand jugoslawische Verhältnisse will, wurde aus der Forderung nach „Autonomie“ die nach „Selbstverwaltung“  ■ Aus Komarno Sabine Herre

Als die Führer der slowakischen Nationalbewegung am Ende des vergangenen Jahrhunderts in den Bergen der Niederen Tatra zusammenkamen, gab ihre Versammlung das Zeichen zum „Kampf gegen die ungarischen Herren“. Bis heute erinnern farbenfrohe Bilder und romantische Lieder die SlowakInnen an diesen Beginn ihres „nationalen Wiedererwachsens“. Ob sich ähnliches einst von der gestrigen Versammlung der slowakischen Ungarn in Komarno sagen läßt, scheint dagegen ungewiß.

In der nüchternen Sporthalle des Ortes an Donau und ungarischer Grenze gab es keine Fahnen, keine historischen Kostüme, keine Lieder. Ja, nicht einmal ein Transparent wies auf die Bedeutung des „Ereignisses“ hin, auf dem rund tausend VertreterInnen von mehrheitlich ungarischen Städten und Gemeinden in der Südslowakei das Selbstbestimmungsrecht für die von ihnen bewohnten Gebiete einforderten. Bereits die rund 15minütige Verlesung der Abschlußresolution dauerte den meisten zu lang. Nachdem sie diese mit 99,9prozentiger Zustimmung angenommen hatten, verzichteten die meisten selbst auf den abschließenden Applaus. So schnell hat sich selten eine Sporthalle geleert.

In den vorangegangenen vier Stunden hatten ausgewählte Redner den Versammelten noch einmal die Schwierigkeiten der Lage der rund 600.000 Ungarn in dem seit etwas über einem Jahr unabhängigen slowakischen Staat deutlich gemacht. Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Verringerung der ungarischsprachigen Schulen, Zerstörung der Umwelt durch das Wasserkraftwerk Gabčikovo. Wichtigstes Thema jedoch war die von der Regierung in Bratislava vorbereitete Gebietsreform. Die Einteilung der Slowakei in die vorgesehenen sieben Bezirke würde, so der außenpolitische Sprecher der Partei „Zusammenleben“, Istvan Batta, dazu führen, daß der Anteil der Ungarn in fünf Bezirken unter der für die Anwendung der Minderheitenrechte geltenden Grenze von 20 Prozent der Bevölkerung liegen würde. Zugleich hätte die vorgesehene Einteilung Auswirkungen auf die politische Vertretung der ungarischen Minderheit im Parlament: denn in mehrheitlich slowakischen Wahlkreisen wären ungarische Kandidaten chancenlos.

Deshalb haben die ungarischen Politiker ihre eigenen Modelle der Gebietsaufteilung entwickelt. Modelle, die in Komarno lautstark begrüßt wurden, schien doch hier zum erstenmal die Vorstellung einer autonomen Region „Südslowakei“ deutlich zu werden. Vorgesehen ist, das rund 11.000 Quadratkilometer große und 1,6 Millionen Einwohner zählende Gebiet in einem Bezirk zusammenzufassen und diesem weitreichende Kompetenzen vor allem im ökonomischen Bereich zu erteilen. Istvan Batta: „Natürlich könnte man ein solches Gebiet als autonom bezeichnen. Da der Begriff Autonomie bei uns jedoch häufig falsch verstanden wird, sprechen wir von Selbstverwaltung.“ Und: „Wir bestimmen, wie unser Siedlungsgebiet auszusehen hat, und die slowakische Regierung hat das zu akzeptieren.“

Abseits der großen Rhetorik setzt man vorerst freilich noch auf Verhandlungen und den slowakischen Präsidenten Michail Kováč. Dieser hatte im Gegensatz zu Ministerpräsident Vladimir Mečiar seine Bereitschaft zum Kompromiß mit der ungarischen Minderheit immer wieder deutlich gemacht. Und auch die Parteien der Opposition haben entgegen ihren sonstigen Gepflogenheiten versucht zu vermitteln. Ein Delegierter: „Wenn diese Regierung nicht mit uns verhandeln will, warten wir auf die nächste.“ Die Gefahr einer Eskalation ist jedoch gerade wegen der derzeitigen Schwäche der Regierung Mečiar groß. Nicht nur die Ungarn vermuten, daß ein slowakisch-ungarischer Konflikt dem slowakischen Premier zur Aufbesserung seines angeschlagenen Images bei den slowakischen Nationalisten nicht unrecht wäre.

Bereits vor der Versammlung der Gemeindevertreter demonstrierte Mečiar erneut, wer in der Südslowakei das Sagen hat. Die Straßen nach Komarno waren am Samstag vormittag die bestbewachten des Landes, unzählige Polizeistreifen kontrollierten nicht nur die Busse der ungarischen Delegierten, sondern auch Linienbusse und Pkws. Waren die Papiere der Fahrer unvollständig, wurden sie zurückgeschickt. Zudem hatten die slowakischen Zeitungen die Versammlung in Komarno zu ihrem Thema Nummer eins gemacht. Geschichtsbücher wurden geöffnet und an die ungarische Besetzung der Südslowakei 1938 erinnert. Und obwohl das Zusammenleben der beiden Nationen im Süden des Landes bisher stets als problemlos beschrieben wurde, organisierte sich unter Anleitung einer nationalistischen Organisation nun zum erstenmal die slowakische Bevölkerung an der Donau. Für diese Nationalisten ist klar: Bei einer bloßen Proklamation einer autonomen Region wird es nicht bleiben. Diese wird sich schon bald von der Slowakei lossagen und den Anschluß an Ungarn suchen.

Ein Ziel, das die Vertreter der Minderheit entschieden bestreiten. Sie betonten, daß sie Bürger der Slowakei seien und dies auch bleiben wollten. Ihre Kontakte zu ungarischen Parteien seien nicht besser als zu denjenigen anderer Länder. Und, so ein immer wiederkehrendes Argument, „wir wollen kein zweites Jugoslawien“.