Sanfte Blockade und Seminar-Killer

■ Uni-Streik: Der erste Tag / Eckwerte, Eckwerte, Eckwerte und Diskussionen   Von Kaija Kutter

Putzfrauen und Professoren sowieso. Aber soll man auch die durchlassen, die Bücher abgeben? Oder nur die, die ihr Examen schreiben? Eine lockere Blockade der Fahrstühle, oder aber eine strikt militante? Plenum im Philosophenturm. Es ist Mittagszeit. Phil D, der große Hörsaal mit den Kokoschka-Gemälden an der Wand, ist bis auf den letzten Platz besetzt. 400 Studenten diskutieren konzentriert über die Fortsetzung ihrer Aktion.

Der Zugang zum Fahrstuhl im größten Gebäude der Hamburger Uni besetzt. Seit acht Uhr früh hält ein Trupp von zwölf StudentInnen entschlossen ein Transparent vor die Glastür. Jetzt muß entschieden werden: Wird die Blockade fortgesetzt oder nicht.

Morgens um sechs habe es kritisch ausgesehen, Schwarze Sherifs hätten sie räumen wollen, berichtet ein Geschichts-Student. Uni-Präsident Jürgen Lüthje habe geschlichtet. Später wurde aus Versehen ein Germanistik-Seminar durchgelassen. Der Stör-Trupp habe aber flugs für die Auflösung der Streikbrecher-Veranstaltung gesorgt. An einem Pfeiler hängt ein Plakat: „Streikbrecherfahndung“.

Nicht an allen Fachbereichen wurde gestern der Streik so militant durchgesetzt wie im Philosophenturm. Doch die strikte Blockade sei eine Erleichterung für alle, die sich sonst nicht trauen, dem Seminar fernzubleiben, sagt eine Rednerin. „Wenn wir extra eine Blockade brauchen, können wir den Streik doch gleich vergessen“, meint ein junger Mann. Er bleibt mit seiner Ansicht allein.

Derweil beraten auch der Uni-Präsident und seine Mitarbeiter über das weitere Vorgehen. Einem Studierenden den Zutritt zu verwehren, sei rechtswidrig, erklärt Uni-Sprecher Jörg Lippert. Anno 1977 hatte einmal ein Student beim Verwaltungsgericht sein Recht auf Seminarbesuch eingeklagt. Unter Polizeischutz wurde nur für ihn im Hauptgebäude eine Vorlesung abgehalten, erinnert sich Lippert.

Aber heute? Der Unipräsident will hingehen, mit den Studierenden reden. Polizei, nein. Das wäre nie und nimmer denkbar. Zumal, inhaltlich gesehen, habe man ja durchaus einige Sympathien mit dem Anliegen der Studierenden.

Streik gegen Eckwerte. Im Phil-Foyer werden alle Passagen dieses Papiers auf Stellwänden erläutert. Studierende, die Seminare besuchen wollen, bekommen Fragebögen in die Hand gedrückt. Was sie über „Eckwerte“ wissen und wie ihre soziale Lage ihr Studium beeinträchtigt. „Fünfzig Prozent behaupten, sie finden das Papier gut“, berichtet eine Studentin dem Plenum. „Und nach fünf Minuten geben sie zu, daß sie es gar nicht kennen.“

Im „Rechtshaus“ direkt dem Phil-Turm gegenüber verschnaufen gestreßte Jura-Studentinnen bei Kaffee und Butterbrot. Hausarbeit schreiben, für alle Nachwuchs-Juristen eine Tortur. Nein, vom Streik haben sie nichts gehört. „Wir sind hier alle unpolitisch, und ich bin der unpolitischste“, verkündet ein hochgewachsener arroganter Kerl und wendet sich gleich wieder ab.

Zurück zum Phil-Turm. Die Diskussion dreht sich im Kreis. „Vielleicht wäre eine lockere Blockade ok, wenn wir eine gute Seminar-Killergruppe auf die Beine stellen“. Alle lachen. Auf jeden Fall müsse sicher sein, daß im gesamten Hochhaus nur Arbeitsgruppen zum Thema Eckwerte stattfinden, sagt ein anderer.

Eckwerte, Eckwerte, Eckwerte, noch nie wurde so fleißig gestreikt. Eckwerte und Frauen, Eckwerte und Wirtschaft, sogar eine Arbeitsgruppe von Studis, die für dieses Papier sind, soll sich bilden. Eine Studentin: „Ich bin gespannt, was da herauskommt“.

„Was ist denn nun mit der Blockade?“, drängelt eine Frau. Sie wolle die Studentin mit Kind, die nur Bücher abgeben will, morgen nicht schon wieder wegschicken, „das bring ich nicht übers Herz“. Das Stichwort ist gefallen. Keine Kriterien, die Blockierer sollen selbst nach ihrem Herzen entscheiden, wen sie durchlassen, sagt ein Kommilitone.

Sein Vorschlag wird angenommen.