Der Quartalstheatraliker

■ Vor der deutschen Erstaufführung von Lars Noréns „Herbst und Winter“: Der Regisseur Hansjörg Betschart über die vorletzten Dinge und das Saufen

Heute abend steht uns eine Premiere ins Schauspielhaus: das kleinbürgerliche Seelendrama „Herbst und Winter“, verfaßt von dem schwedischen Katastrophenspezialisten Lars Norén. Zwei Töchter auf Besuch bei den Eltern: Mehr braucht der Autor nicht, um die ganze Familie als solche in einen ruinösen Selbstvernichtungsmechanismus zu verwandeln. Die Eltern werden gespielt von Jennifer Minetti (ja genau, die Tochter) und Fried Gärtner, in den Rollen der Töchter sehen wir Cornelia Kempers und Kirsten Block. Regie führt Hansjörg Betschart; von ihm stammt auch die Übersetzung. Dem hiesigen Publikum ist er von seiner „Medea“ her bekannt. Die taz wollte vor der Premiere noch etliches von ihm wissen. Wissen Sie, was den Norén so an diesen Seelenzerfleischungen fesselt? Ich weiß es nicht. Das ist seine Obsession. In Schweden gibt's direkt den stehenden Ausdruck: Das ist ja wie bei Norén! Aber ich glaube, ganz so einfach ist es nicht. Dieser Autor ist eingentlich immer auf der Suche nach Bildern für diesen seltsamen Schwebezustand, wo die Demokratie sowas Unfaßliches kriegt und uns im Grunde zwischen den Fingern zerrinnt. Da schildert er Menschen, die das, wie wir ja auch, überhaupt nicht gemerkt haben. Der Unterschied ist nur, daß die Bühnenfiguren in eine Lage geraten, in der sie nichts mehr bemänteln wollen. Diese Verzweiflungsorgien haben aber schon auch was Kulinarisches. Ja. Trotzdem, wesentlich ist, daß dem Publikum erlaubt wird, mit vier Figuren einmal den Weg durch alle Schichten und Jahresringe zu gehen bis an das Ende des Konfliktes, nur um dann festzustellen, daß dort der nächste schon lauert. Im Stück klingt uns das wie Musik in den Ohren. Ja. Mich erinnert das auch ein bißchen an moderne Kompositionen. Im Grund sind es vier Stimmen, die ein Generalthema durchspielen, vom Autor unglaublich genau geführt. Und nie, wirklich nie würde eine einzelne Stimme funktionieren ohne die Dissonanzen der anderen drei. Zusammen kommen sie immer wieder auf die Dominante zurück, könnte man sagen. Die Dominante, das ist im Stück vor allem die Mutter.

Ja, eine böse Gestalt, und sehr wichtig fürs Stück, weil sie die eine ist, die nie losläßt. Neulich bei der Probe mußten Sie trotzdem andauernd lachen. Kennen Sie das Stück nicht eh schon im Schlaf? Ja klar, aber es gibt Stellen, die sind einfach sprachlich so gekonnt. War's nicht eine Schinderei, etwas derart ausgetüfteltes zu übersetzen? O ja. Selbst während der Proben habe ich noch dran rumgeändert. Es ist schwierig, den ganzen Beziehungsreichtum dieser scheinbar alltäglichen, sehr mündlichen Sprache richtig anklingen zu lassen. Die Schweden fluchen ja schon ganz anders, nicht so anal wie die Deutschen. Das hat dort eher mit dem Teufel zu tun. Sie haben selber in Schweden gelebt. Wie lange? Sieben Jahre. Stimmt das, was man sich übers schwedische Saufen erzählt? Unbedingt. Es gibt einfach diesem Widerspruch, einerseits eine allgegenwärtigen Freundlichkeit: Überall findet sich etwas, was verhindert, daß kleine Kinder sich in Türen einklemmen. Und andererseits das Bedürfnis, ab und zu das alles einzureißen. Das ist wirklich lustig. Mir ist man oft mit Unverständnis begegnet, wenn ich mal ein Glas Wein zum Essen getrunken habe. Diese Menge gibt es in Schweden gar nicht. Lieber gar keins, und am Samstag dafür sieben und ab in den Rausch. Das ist eine eigene Kultur: So viel hineinstürzen, daß einmal restlos alles gesagt werden kann. Ich hab das mal erlebt auf einer Premierenfeier: Da saßen zwei Schauspieler und ein Techniker komplett besoffen mit dem Intendanten in der Ecke und putzten den Kerl dermaßen runten, daß ich nur noch dachte, die werden am nächsten Morgen gefeuert. Wurden sie aber nicht. Ich habe den Verdacht, daß die Schweden es mit dem Stückeschreiben nicht anders halten als mit dem Saufen. Ja genau. Das Verhältnis der Schweden zum Theater entspricht ziemlich präzise dem zum Alkohol. Fragen: schak