Sanssouci
: Nachschlag

■ Müller las Pasolini

Es gibt eine schöne Sitte im Theater: Beim Schlußapplaus danken die DarstellerInnen auf der Bühne dem Publikum und beginnen zu klatschen. Heiner Müller wurde am Sonntag 65 Jahre alt und hatte zur Geburtstagsveranstaltung ins Berliner Ensemble eingeladen. Seine Standing ovations galten nicht dem Publikum, sondern Pietro Paolo Pasolini. Der freibeuterische Denker, Autor und Filmregisseur war politisch ein Geistesverwandter von Müller. Ein Nestbeschmutzer, ein Dissident. Anders als das deutsche Geburtstagskind hat Pasolini aber auch viel Mitgefühl gezeigt bei der Darstellung der Verdammten dieser Erde. Daß der Vorzeigezyniker Müller eine Hommage an Pasolini veranstaltete, war eine unerwartet persönliche Geste.

Den Abend eröffnete die Vorführung des Pasolini-Filmes „La Ricotta“ (1962): Bei Aufnahmen zu einem Jesus-Film versucht ein Komparse vergeblich, in den Drehpausen seinen Hunger zu stillen. Es gelingt, er stopft sich voll – und stirbt dann, in seiner Rolle als Schächer, ans Kreuz gebunden, während der Aufnahmen. Eine Film-im-Film-Geschichte, die wegen des Vorwurfs der Blasphemie zeitweise verboten war. Pasolini wurde auf Bewährung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Zurück zu Müller, der dann mit der Schauspielerin und Pasolini-Vertrauten Laura Betti Texte von Pasolini las – sie im Original, er die deutsche Übersetzung. Der trocken und eher bedächtig vorgetragene deutsche Text wirkte anfangs wie gelesene Untertitel. Die ruhige Art, mit der Müller die Texte vortrug, hatte aber auch eine angenehme Ernsthaftigkeit. Sonst kennt man ihn doch eher kommentierend. Die Texte repräsentierten Pasolinis Persönlichkeit umfänglich: den Melancholiker, den politischen Poeten des Abseitigen, den homosexuellen Mann, der 1975 von einem Strichjungen erschlagen wurde. „Pelosi und die anderen Mörder waren der Arm, der Pasolini tötete, aber die Auftraggeber waren Tausende, im Grunde die ganze italienische Gesellschaft“, schrieb Alberto Moravia in einem Vorwort. Italia, Tod in Rom.

Am Ende ein Gedicht, dessen letzte Zeilen lauten: „ich bitte euch, seid jung wie sie / und jetzt vergnügt euch.“ Applaus und gespanntes Warten, ob nach dem Blumenjungen über die an die Bühne gestellte Treppe nicht noch Überraschungsgäste kämen. Als nichts passierte, zog man ins obere Foyer: Champagner und ein kaum enden wollendes Defilee. Müller wirkte entspannt, ließ sich umarmen, fotografieren, redete, und als nach einer Stunde klar war, daß es das einfach gewesen war, da gingen sie nach Hause. Caroline Roeder