Knastschule wartet vergebens auf Lehrer

■ Justiz- und Schulverwaltung verzögern seit über einem Jahr die Besetzung von Lehrerstellen / Warteliste von Gefangenen

In einer normalen Schule wären die Betroffenen schon längst auf die Barrikaden gegangen: Seit mehr als einem Jahr sind über die Hälfte der Lehrerplanstellen in der Knastschule der Haftanstalt Tegel nicht besetzt. Bewerber, die bei Einstellungsgesprächen im vergangenen Frühjahr für geeignet befunden worden waren, werden zum Teil seit Monaten von der Justizverwaltung hingehalten.

Nach Wochen völliger Funkstille erfuhren einige von ihnen im vergangenen November aus der Presse, daß sie am 1. Januar 1994 mit ihrer Arbeit in der Knastschule beginnen sollten. Mittlerweile ist das Datum längst überschritten, doch noch immer ist nichts geschehen. Unterdessen wird im Tegeler Knast die Warteliste von Gefangenen, die einen Schulabschluß machen wollen, immer länger. Zwischen 30 und 50 Gefangene warten derzeit auf einen Unterrichtsplatz. Auf Nachfrage der taz ließ der Leiter der Abteilung Strafvollzug in der Justizverwaltung, Christoph Flügge, gestern wissen: Die meisten Lehrerstellen würden nun zum 1. Februar besetzt. Im Knast hält man diese Versprechung inzwischen jedoch für „Vortäuschung von Aktivismus“.

In Berlins größter Männerstrafanstalt befinden sich zur Zeit rund 1.300 Gefangene. Rund zehn Prozent von ihnen, so die Regel, kommen als Schüler für die Knastschule in Betracht: um den Haupt- oder Realschulabschluß zu machen oder ein Grundbildungsjahr zu absolvieren. Doch aus Pädagogenmangel müssen viele Lernwillige abgewiesen werden. In der Schule unterrichten derzeit nur zwei vollbeschäftigte Lehrer und ein Teilzeit-Pädagoge sowie einige Honorarkräfte. Die übrigen vier festen Lehrerstellen sind seit langer Zeit unbesetzt. Dabei hatte es in der Stellenausschreibung von Oktober 1992 noch geheißen „sofort besetzbar“.

Nach den Einstellungsgesprächen im Frühjahr 1993 hatte man die ausgewählten Kandidaten um Geduld gebeten, weil noch die Zustimmung der Schulverwaltung eingeholt werden mußte. Der Hintergrund: Die Stellen waren für Haupt- und Realschullehrer ausgeschrieben, beworben hatten sich aber fast nur Gymnasiallehrer. Der Leiter der Abteilung Strafvollzug, Flügge, sagte gestern, daß die Gymnasiallehrer aufgrund ihrer mangelnden Qualifikation nicht wie vorgesehen als Beamte eingestellt werden könnten. Für sie käme nur ein befristetes Angestelltenverhältnis mit geringerer Besoldung in Frage. Dies mit der Schulverwaltung zu klären habe die Einstellungen so lange verzögert. Außerdem habe man gehofft, die Abteilung „Sonderpädagogik“ der Schulverwaltung werde die Knastschule übernehmen.

Von der Schulverwaltung war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Sprecher Andreas Moegelin kündigte jedoch für heute eine Erklärung an. In puncto einer möglichen Übernahme der Knastschule durch die Schulverwaltung sei die Justiz wohl „einem Mißverständnis aufgesessen“.

Im Tegler Knast findet man für das Verhalten der Verantwortlichen nur noch ein Wort: „Skandal“. Da solle noch einmal jemand von Resozialisierung reden. Leidtragende seien die schwächsten der Gefangenen mit Schreib- und Leseschwächen. Ohne einen Haupt- oder Berufsschulabschluß könnten sie keine Lehrstelle antreten: „Für einen, der drei Jahre einsitzt, zählt da jeder Monat.“ Plutonia Plarre