Superwahljahrmarkt Von Mathias Bröckers

Seit einigen Tagen befinden wir uns im Superwahljahr. Wer diesen Begriff geprägt hat, ist mittlerweile nicht mehr auszumachen, doch was er verheißt, ist nichts Gutes. Wenn etwas so lauthals und auf allen Kanälen als „super“ deklariert wird – das wissen wir reklamegestählten Kunden längst –, muß irgend etwas faul sein. Was als Megasupersonderangebot angepriesen wird, ist oft genug nur ein Ladenhüter.

Ist auch das „Herz der Demokratie“ – die Wahl der Volksvertreter – mittlerweile ein Ladenhüter, der nur noch als Supersonderangebot an den Mann gebracht werden kann?

Betrachtet man den zum Jahreswechsel veröffentlichten Amigo- Almanach der Politskandale, spricht einiges dafür, daß die Rede vom „Superwahljahr“ kein Zufall ist. Wer so viel Vertrauen und Image verliert wie die deutschen Volksvertreter im Jahr 1993, der muß einfach die Werbetrommel rühren. Schon längst würde bei der berühmten Sonntagsfrage nicht mehr Kohl oder Scharping gewählt, sondern der Kandidat „Keiner von beiden“. Mit 42 Prozent zum Jahresbeginn ist „Keiner von beiden“ auf dem Weg zur absoluten Mehrheit, der einstige Markenartikel Kohl kommt gerade noch knapp über die 20-Prozent-Hürde. Bei der Frage, welche Partei die Wirtschaftskrise am besten überwinden könne, liegt „Keine von beiden“ – die KVB – mit 53 Prozent mittlerweile klar vorn. Selten fühlten sich die Wähler im Supermarkt der Politik so schlecht bedient wie 1993.

Es fehlt nicht an besorgten Aufrufen, die wahlmüde Politikverdrossenheit im Lande zu überwinden – die Appelle an den politikmündigen, kritischen Bürger allerdings kommen meist von denen, die für die Verdrossenheit erst gesorgt haben: den Politikern selbst. Und eben deshalb bleiben sie so wirkungslos: Sie sind so glaubwürdig wie die neuen Superpreise eines Vertreters, dem wegen unsauberer Geschäftspraktiken die Kunden weglaufen. Wie kritisch die Lage ist, zeigt der zunehmende Erfolg der Statt-Parteien: Inhaltlich bieten sie kaum eine Alternative, aber die Wähler sind mittlerweile schon dankbar für jede halbwegs ehrliche Haut im politischen Geschäft. Nicht politische Ziele oder gar Vorstellungen von Reformen und Veränderungen sind entscheidend – Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit pur reichen vollkommen aus. Und das Gerangel, wer nun ehrlicher und glaubwürdiger ist, ähnelt durchaus dem Wettstreit der Vollwaschmittel um das weißeste Weiß. „Wir sind so ehrlich, ehrlicher geht's nicht. Ehrlich.“ – bis zu solchen Parolen ist es im Superwahlspotjahr nicht mehr weit hin. Neue Supersaubermänner und die alten immergleichen Wahlversprechen, das ist es, was den Kunden im Schaufenster des Superwahljahrmarkts erwartet. Nicht die ökologische Steuerreform steht zur Wahl, sondern Waigels Vorschlag, den Lohnsteuerjahresausgleich auf zwei Formularseiten unterzubringen, nicht das Ende der destruktiven Wachstumswirtschaft, sondern der termingerechte Pseudokonjunkturaufschwung zur Bundestagswahl, keine Wende in der Bildungs- und Jugendpolitik, sondern zehn Mark mehr Kindergeld vom Familienminister. Dem Kunden bleibt nicht viel mehr, als dafür zu sorgen, daß die falsche Politik weitergeht, dies aber wenigstens ehrlich.