Kommunisten und Faschisten Hand in Hand

■ Heute tritt das russische Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen

Berlin (taz) – Das Vertrauen der russischen Bevölkerung in den Volksdeputiertenkongreß tendierte gegen null, das Vertrauen in die Staatsduma dürfte kaum größer sein. Denn schon vor der heutigen Eröffnungssitzung des neugewählten Parlaments zeichnete sich ab, daß die Auseinandersetzung zwischen Anhängern und Gegnern des russischen Präsidenten Jelzin auch nach der Auflösung des Obersten Sowjets fortdauern wird.

Und selbst diejenigen, die nach dem Wahlerfolg Wladimir Schirinowskis erwarteten, daß die Kommunistische Partei Rußlands eine Zusammenarbeit mit den Faschisten ablehnen würde, sahen sich getäuscht. Auch in der Staatsduma wird es eine rot-braune Koalition geben, gemeinsam mit den Agrariern waren Kommunisten und Faschisten in der letzten Woche bemüht, die wichtigsten Parlamentsposten für sich zu reservieren. So soll Schirinowski den Vorsitz des Ausschusses für Außen- und Verteidigungspolitik erhalten, den Kommunisten wird voraussichtlich die Leitung der Ausschüsse für Staatssicherheit und Wirtschaft zufallen. In der Duma werden die Rot-Braunen über cirka 180 der 450 Mandate verfügen. Die endgültige Sitzverteilung steht jedoch immer noch nicht fest.

Die reformorientierten Parteien, die derzeit auf rund 140 Sitze kommen, sehen sich so unter Zugzwang. Da ihnen eine Abstimmung der Zusammenarbeit jedoch weiterhin nicht gelingt, reagierte die „Wahl Rußlands“, die Partei von Vizeregierungschef Jegor Gaidar, zunächst mit einem beleidigten Rückzieher: Die Opposition versuche ihre Leute „durchzudrücken“, seine Partei ziehe sich aus den Verhandlungen über die Postenverteilung zurück.

Ungeklärt blieb somit die Frage, welche Fraktion den Parlamentspräsidenten stellen wird. Obwohl der „Speaker“ der Duma über weitaus weniger Kompetenzen als der Vorsitzende des Obersten Sowjets verfügt, wird er doch den Ablauf der Parlamentsdebatten bestimmen. Ruslan Chasbulatow hatte seine Funktion nicht nur einmal zur Manipulation der Geschäftsordnung benutzt. Im Gespräch für das Präsidentenamt sind bisher Alewtina Fedulowa von den „Frauen Rußlands“ sowie zwei Mitglieder des reformorientierten „Jabloko-Blocks“. Seinen Anspruch hat aber auch Schirinowski angemeldet.

Da die Spaltung des Parlaments den Gesetzgebungsprozeß so erneut blockieren wird, hängt die Ausgestaltung der russischen Reformen auch weiterhin von Regierung und Präsident ab. Immer noch unklar ist jedoch, wie Jelzin auf den Wahlerfolg Schirinowskis reagieren wird. Seit Tagen gibt sich das politische Moskau Diskussionen über eine Regierungsumbildung hin. Zweimal, so heißt es, habe Jelzin es bereits abgelehnt, die erneute Ernennung Gaidars zum stellvertretenden Premier zu unterzeichnen. Und erst gestern ordnete der Präsident die seit langem erwartete Verkleinerung des Kabinetts an.

Nachdem es im Dezember gelungen war, die Inflationsrate auf zehn Prozent zu senken, erwarten in- und ausländische Beobachter nun eine Entmachtung von Finanzminister Boris Fjodorow und eine Lockerung der monetaristischen Politik. Als Beleg hierfür dienen ihnen nicht nur zahlreiche Gespräche Jelzins mit Leitern großer Staatsbetriebe, sondern auch der Beschluß über eine gemeinsame Währungszone mit Weißrußland. Da damit auch Minsk die Erlaubnis zur Emission von Rubeln erhält, wird die Kontrolle der Geldmenge erschwert.

Ein erstes Anzeichen dafür, wie Jelzin mit dem Parlament umzugehen gedenkt, wird die konstituierende Sitzung bringen. Denn während bisher davon ausgegangen wurde, daß der Präsident, wie in der Verfassung vorgesehen, zum Beginn der Legislaturperiode eine Rede vor beiden Kammern der Volksvertretung halten wird, war dies noch zu Wochenbeginn ungewiß. Als entgegenkommende Geste dürften die Abgeordneten jedoch ein Präsidenten-Dekret werten, welches 500 Millionen Dollar für den Bau eines neuen Parlaments zur Verfügung stellt. Daß Jelzin die Abgeordneten der Staatsduma in das Gebäude des früheren Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) verwies und das Weiße Haus zum Regierungssitz machte, war ihm stets als Mißachtung der parlamentarischen Demokratie angekreidet worden. Sabine Herre