Der doppelte Perry Mason

■ Italiens erster großer Schmiergeldprozeß wird immer mehr zur Fernsehshow

Mailand (taz) – Italiens Fernsehzuschauer sind derlei ja gewohnt: Atemlos hat die Nation bereits vor dreißig Jahren die großen Duelle des listigen Rechtsanwalts Perry Mason gegen präpotente Gouverneure, trickreiche Staatsanwälte und meineidige Zeugen verfolgt.

Seit einiger Zeit können Gerichtssaal-Süchtigen die Anrempeleien zwischen Verteidigern und Anklägern noch realistischer verfolgen – „Un giorno in pretura“ hieß die erste Sendereihe direkt aus dem Amtsgericht; da wurden allerdings eher kleinere Fälle wie Betrug, Eheauseinandersetzungen und mitunter Beihilfe zum Mord verhandelt. Seit Ende November hat die Gerichtsberichterstattung eine noch höhere „Qualität“ erreicht: Das erste große Schmiergeldverfahren gegen den Generalmanager des Ferruzzi-Konzerns, Sergio Cusani, wird allabendlich in stundenlangen Mitschnitten vorgeführt.

Die Zeugenaussagen ehemaliger Minister und Parteichefs, vor allem aber die Frontalzusammenstöße zwischen Verteidiger Giuliano Spazzali und Ankläger Antonio di Pietro, füllen den Fernsehanstalten fast kostenlos ganze Abende, hohe Einschaltquoten garantiert. Der Angeklagte selbst ist noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten – er weigerte sich bis zu seiner Freilassung Ende Dezember, überhaupt zu erscheinen, und wartet jetzt ab, bis alle Zeugen gehört wurden. Tatsächlich hat die Euphorie über den an sich als Musterfall eines demokratischen Reinigungsprozesses von korrupter Politik geltenden Prozeß leichte Risse bekommen: „Man erspare uns die Show“, verlangte der angesehene Kommentator Giorgio Bocca in L'Espresso.

So geriet in der dramatisch inszenierten Verhandlung ganz in den Hintergrund, daß ein Großteil der Bestechungsgelder über ein Mitglied der 1982 aufgelösten kriminellen Putschistenloge „Propaganda 2“ , Luigi Bisignani, gewaschen und nach Luxemburg überwiesen wurde – und zwar über das vatikanische Bankinstitut IOR. Ganz wie zu Zeiten des inzwischen pensionierten, jahrzehntelang höchst umstrittenen Papst-Schatzmeisters Erzbischof Marcinkus, der ebenfalls das Recycling schmutziger Gelder zum Lebenselixier der Bank von Sankt Peter gemacht hatte. Listig hatten die neuen IOR-Chefs „volle Bereitschaft“ zur Aufklärung der Geldflüsse gezeigt, so daß die Ermittler der Bank gar noch dankten – statt nachzufragen, wieso denn derlei Schweinereien noch immer möglich sind. Die Medien konzentrierten sich ausnahmslos darauf, herumzuspekulieren, welchen Parteien denn die Konten in Luxemburg gehörten, auf die umgerechnet an die 100 Millionen DM geflossen waren. Für die kommende Woche hat di Pietro eine Art Replay angekündigt: Da will er noch mal einige der ehemaligen Parteivorsitzenden und -kassiers hören, die noch immer behaupten, nix von den Ferruzzi-Geldern bekommen zu haben, obwohl die Beweise schon erdrückend sind.

Und da will er auch kompensieren, was ihm bissige Kritiker beim letzten Verhör des ehemaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi, angekreidet hatten: daß er den Sozialistenchef faktisch überhaupt nicht zur Sache befragt hat, sondern ihm Gelegenheit zu einem Rundumschlag gegen seine früheren und aktuellen politischen Gegner gegeben hat. Vielleicht ist dann der Zeitpunkt gekommen, wo Italiens Fernsehzuschauer endgültig entscheiden, wen sie als den authentischeren Perry Mason ansehen – di Pietro oder Spazzali. Werner Raith