Ein außenpolitisch „ganz schwieriger Spagat“

■ Die Bundesregierung laviert mit ihrer Haltung zur Ost-Erweiterung zwischen den Sicherheitsinteressen Ost- und Mitteleuropas und russischen Ausgrenzungsängsten

Polnische und deutsche Soldaten ziehen mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wieder gegeneinander ins Feld. Nicht etwa um einen neuen deutschen Überfall auf den Nachbarstaat handelt es sich, sondern um gemeinsame Manöver von Nato-Truppen und Verbänden der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten. Dieses bislang unwahrscheinliche Szenario könnte schon bald Wirklichkeit werden, denn unter dem Motto „Partnerschaft für den Frieden“ bieten die 16 Regierungen der westlichen Allianz den Staaten des ehemaligen Gegners erstmals eine umfassende militärische und politische Kooperation an.

Kein anderes Land innerhalb der Nato macht sich so zum Anwalt der Sicherheitsinteressen der Reformstaaten Mittel- und Osteuropas wie die Bundesrepublik. „Wir Deutschen sind diejenigen, die am stärksten auf die politische Vernetzung drängen“, sagt Außenminister Klaus Kinkel (FDP) über seine Politik. Der Nato-Beitritt, den Polen, Litauen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn anstreben, dürfe aber der in Rußland und der Ukraine herrschenden Furcht vor Bedrohung und Ausgrenzung durch den Westen keine neue Nahrung geben, denn dies gefährde den Demokratisierungsprozeß. „Das ist ein ganz schwieriger Spagat“, beschrieb Kinkel kurz vor dem Gipfel die Aufgabe von Brüssel.

Der Außenminister erwartet denn auch, daß die Regierungen jener Staaten vom Ergebnis des Nato-Gipfels enttäuscht sein werden: Sicherheits- und Beistandsgarantien werden sie in Brüssel nicht bekommen. Der Gipfel wird allerdings bestätigen, daß die Nato im Grundsatz für eine Erweiterung offensteht und gleichzeitig klarmachen, daß eine solche Erweiterung ein langfristiger Prozeß sein muß.

Das Nato-Angebot „Partnership for Peace“ schlägt den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten gemeinsame Manöver, friedenerhaltende Operationen im Auftrag der Vereinten Nationen und die Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit den beitrittswilligen Staaten vor, die ständige Vertreter an den Sitz des „Nato-Oberbefehlshabers Europa“ nach Mons in Belgien entsenden sollen.

Daß deutsche Politiker die Ängste der ost- und mitteleuropäischen Staaten vor der Militärmacht Rußland ernster nehmen, als US-Diplomaten das tun, hängt nicht nur mit den Verpflichtungen der Geschichte zusammen. Es ist auch eine Frage der Machtbalance innerhalb des Bündnisses. Beitritte der Staaten Ost- und Mitteleuropas würden den Einfluß der Amerikaner in der Nato schmälern, den der Bundesrepublik aber stärken. Denn von der Anbindung jener Staaten an den Westen profitiert die Bundesrepublik am meisten – nicht zuletzt durch wirtschaftliche Verflechtungen.

Über die deutsche Rolle als Anwalt der Staaten Ost- und Mitteleuropas gibt es wenig Dissens zwischen den Regierungsparteien und den Sozialdemokraten. Diskutiert wird nur über das Tempo der Nato-Erweiterung und die Frage, wieviel Rücksicht die Nato in ihrer Politik auf die antiwestlichen und antidemokratischen Kräfte in Rußland nehmen sollte.

Ehemaliges „Frontland“ erhielte „Pufferstaaten“

Die CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Heiner Geißler plädieren für Sicherheitsgarantien der Nato gegenüber den Reformstaaten im Osten. SPD-Chef Rudolf Scharping warnt dagegen vor einer zu schnellen Aufnahme von osteuropäischen Staaten in das westliche Bündnis; er sprach von „legitimen Sicherheitsinteressen Rußlands und der anderen GUS-Staaten“.

Zwar läßt Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) nun dementieren, daß er sich mit einem Plädoyer für eine schnelle Aufnahme der Staaten Ost- und Mitteleuropas in Konflikt mit Kanzler Kohl gebracht habe. Aber für eine solche Haltung gibt es sachliche Gründe. Aus dem Blickwinkel von Militärstrategen bringt die Nato- Erweiterung nach Osten einen entscheidenden Vorteil: Die Bundesrepublik, die im Ost-West-Konflikt jahrzehntelang „Frontland“ war, erhielte im Osten „Pufferstaaten“. Eine mögliche Auseinandersetzung mit russischen Truppen fände nicht mehr auf deutschem, sondern auf polnischem Boden statt. Dabei kommen Analysen der russischen Militärdoktrin durch das Bundesverteidigungsministerium zu dem Ergebnis, daß von Rußland zumindest in den kommenden Jahren keine Bedrohung für Ostmitteleuropa oder gar die Bundesrepublik ausgeht. Hans Monath, Bonn