Jetzt rechts abbiegen

■ Die Bremer Komponistin Siegrid Ernst über die Frauen in der Musik und das Notieren in Wellen und Spiralen

Warum haben wir Frauen Querflöte gelernt und nicht Schlagzeug oder E-Bass? Weil wir folgsam richtig, schön und sauber spielen sollten. Eine, die sich schon seit Jahrzehnten darüber hinweggesetzt hat, ist die Bremer Komponistin Siegrid Ernst. Sie schreibt zeitgenössische Musik – und erntet internationale Erfolge. Die taz sprach mit ihr über die Freude am Schrägen in der Musik.

Sie haben zwar selbst auch die braven Instrumente Klavier und Violine gelernt, sich dann aber doch in das Männerrevier Komposition vorgewagt. War's schwer? Ja klar, aber richtig wütend bin ich erst geworden, als ich merkte, daß gerade mein Lehrer Gerhard Frommel, der mich ja aufgefordert hatte, in den Kompositionskurs zu kommen, andererseits der Ansicht war, daß Frauen nicht komponieren könnten. So wie auch meine Klavierlehrerin mal meinte, in Mathematik hätte ich wohl keine gute Note – dabei hatte ich immer eine Eins! Das hat mich dann doch provoziert.

Inzwischen sind Sie eine anerkannte Komponistin zeitgenössischer Musik.

Für mich war es ja nach dem Krieg erstmal ein unheimliches Erlebnis, Bartok und Stravinsky zu hören. Das war für mich sozusagen ein Kopfsprung. Und ich merkte sehr schnell: Die neue Musik ist meine Welt. Vor allem diese psychischen Spannungen, die sind halt vorher in der Musik nie gestaltet worden.

Sie schreiben Werke für Flöte und Schlagzeug und für Klavier auf Tasten und Saiten. Woher nehmen Sie die Ideen?

Wenn ich einen Auftraggeber habe, sagt der ja nicht: Ach, ich gebe Ihnen jetzt ein paar tausend Mark, schreiben Sie mal irgendwas. Ich komponiere also für einen ganz bestimmten Rahmen, zum Beispiel für ein Kirchenfest. Und wenn gar die Interpreten bekannt sind, dann sind das auch Personen für mich, die ganz bestimmte Fähigkeiten und Vorlieben haben. Die Ideen selber, die sind dann wieder von ganz anderen Dingen abhängig. Es kann ja sein, daß ich einen Text brauche. Oder es kann was ganz Außermusikalisches passieren. Ich hatte mal in Paris ein schreckliches Erlebnis bei einem Kirchenkonzert, das nicht zum Ambiente paßte und das zu allem Überdruß noch von Radio France aufgezeichnet wurde. Mit unheimlich viel Technik. Das war eine dermaßen nichtzusammenpassende Geschichte, daß ich plötzlich wußte: Gerade danach soll meine Komposition klingen.

In Ihrer Musik steckt also vieles, das Sie selbst erlebt haben?

Ja, das kann dann wirklich mal ganz persönlich werden. Für das Musica-Nova-Festival in Bremen ist gerade ein Stück im Entstehen, ein Stück für zehn Instrumentalisten. Und hier wollte ich mal die Drei sichtbar machen. Das Persönliche dran ist, daß ich am 3.3. um drei Uhr morgens geboren bin. Das hat mich dann auch räumlich gereizt, das heißt, ich habe neun Spieler so plaziert, daß sie sich immer in Dreiecken gegenübersitzen. Dazu kommt ein Schlagzeugspieler, der drei verschiedene Spielplätze hat.

Sie müssen also Skizzen und Lagepläne zeichnen. Schreiben Sie überhaupt noch Noten auf, oder malen Sie vor allem Symbole?

Manchmal schreibe ich's doch sehr präzise auf mit der normalen Notenschrift. Oder aber, wenn die Tonhöhe mir nicht so ganz wichtig ist, dann werden Linien gemalt oder Figuren, die Bewegung suggerieren. Da muß man sich natürlich was ausdenken, Notationen erfinden sozusagen. Die sollten dann so deutlich wie möglich sein, wie Verkehrszeichen, wo ohne viel Worte klar ist: jetzt rechts abbiegen. Oft muß ich dann aber doch noch irgendwo verbale Anweisungen hinterlassen.

Ist es denn ein Kennzeichen der zeitgenössischen Musik, daß sie – auch fürs Publikum – schwer zugänglich ist?

Es ist mir ja schon wichtig, daß etwas zum Publikum rüberkommt. Wenn ich weiß, daß Leute zuhören, die wahrscheinlich nicht sehr viel Berührung mit zeitgenössischer Musik haben, dann lasse ich einfach mehr Raum für Assoziationen. Da werden dann auch ungewohnte Klänge eher akzeptiert.

Das ist dann oft sehr aufregend und anstrengend.

Musik so nebenbei ist auch nicht in meinem Sinne. Zum Entspannen hab ich gern Stille oder vielleicht gerade noch das Trällern unterm Weihnachtsbaum. Die moderne Musik ist halt ein Spiegel unserer Welt. Man kann natürlich trotzdem auch in der zeitgenössischen Musik durchaus Sätze finden, die nur zum Träumen geeignet sind.

Ihre Kinderoper „Jaga und der kleine Mann mit der Flöte“ war vor drei Jahren ein großer Erfolg. Haben es die Kinder leichter mit der zeitgenössischen Musik?

Kinder äußern ja ihre Begeisterung wie ihr Mißfallen viel offener, das ist sehr angenehm. Ein Kind, das in einer klassischen Hörgewohnheit aufgewachsen ist, findet natürlich scharfe Dissonanzen unerträglich und alle Geräuschklänge furchtbar. Die Kinder dagegen, die viel mit Popularmusik umgehen, sind ja schon Pfeffer gewohnt. Begeistern lassen sich alle übers Rhythmische.

Sie haben vor fünfzehn Jahren den internationalen Arbeitskreis „Frau und Musik“ mitgegründet. Haben die komponierenden Frauen eine Lobby nötig?

Ganz klar. Als ich anfing zu komponieren, hatte ich keine Ahnung, daß es je irgendeine Frau gemacht hätte. Man erfuhr nichts voneinander. Manche Frauen haben gar jahrelang unter männlichem Pseudonym gearbeitet. In unserem Archiv sind jetzt etwa 7.000 Werke von Komponistinnen, das ist für die Öffentlichkeit immer noch relativ sensationell.

Komponieren Frauen eigentlich anders?

Zunächst muß man mal sagen, daß die Frauen natürlich von den Männern gelernt haben. Und dann ahmt man natürlich nach. Trotzdem sind aber deutlich andere Ziele erkennbar. Für mich persönlich heißt das, daß ich diesem Fortschrittsglauben weniger verfallen bin.

Fragen: Silvia Plahl