: Architektur, durchaus fetischisiert
■ Anti-Benjamin: Der Fotograf Klaus Kinold setzt auf die Aura des Abbilds
Medienpädagogen klagen gerne darüber, daß wir die Welt bedenklicherweise eher von Bildern kennen als aus eigener Erfahrung. „Heute können viele überall hinfliegen, mit der Folge, daß wir zerstören, was wir ,erfahren‘ wollen.“ Ein Alptraum wäre also die Vorstellung, alle Architekturstudenten sollten die für ihre Arbeit wichtigen Gebäude bereisen.
„Nein, Architektur muß auch erfahrbar sein durch Reproduktionen: Zeichnungen, Modelle, Fotos.“ Das sagt der international renommierte Architekturfotograf Klaus Kinold. Denn die Fotografie macht die Architektur zu einer jederzeit verfügbaren Ware und steigert ihre Wirkung ins Unermeßliche. Und dadurch, meint Kinold, der bei Egon Eiermann Architektur studierte, bevor er sich ganz der Architekturfotografie zuwandte, hat das reproduzierte Abbild – entgegen Walter Benjamins berühmtem Diktum – in kürzester Zeit eine Aura, in die das Original erst hineinwachsen muß.
Entsprechend besteht für Kinold die Aufgabe des Architekturfotografen darin, den Hiatus zwischen der Foto-Ikone eines Gebäudes und dem begehbaren Bauwerk möglichst gering zu halten. Kinolds Äußerungen über die fotografische Umsetzung und Übertragung von Körper und Raum in die Fläche der Abbildung, die ein korrektes Lesen von Maßstäblichkeit, Raumorganisation und -perspektive, von Oberflächenstrukturen und Lichtverhältnissen ermöglichen muß, sind ebenso bedenkenswert, wie seine Aufnahmen der Gebäude von Mies van der Rohe, Le Corbusier, Egon Eiermann, Hans Döllgast, James Stirling oder Frank O. Gehry betrachtenswert sind.
Obwohl Kinold der Architekturfotografie eine dienende Funktion zuschreibt, wären beispielsweise Karljosef Schattners Bauten in Eichstätt dem architekturinteressierten Leser kaum so ins visuelle Gedächtnis gebrannt, gäbe es nicht Kinolds Fotoserie, die diese Architektur durchaus fetischisiert. Das soll Klaus Kinolds Credo „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist“ nicht Lügen strafen. Es soll nur ein Hinweis darauf sein, daß Kinolds Bilder, ob im Auftrag entstanden oder als freie Panoramafotografie, ein surplus haben, eine subjektive Eindrücklichkeit – gegen das schnelle Überblättern und Vergessen. bw
Ulrich Weisner (Hrsg.): „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist.“ Klaus Kinold, Fotograf. Richter Verlag, Düsseldorf 1993, 178 S., 88 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen