■ Vor der vorläufig letzten Debatte der Umzugskosten
: Landmannschaftlicher Klientelismus

Mittlerweile ist offenbar, daß die Einheit auf absehbare Zeit nicht jenes Maß an ausgleichender Gerechtigkeit hervorbringen wird, um deretwillen sie von den ehemaligen DDR-Bewohnern angestrebt wurde. Das emphatisch vorgetragene Überwinden der Teilung durch Teilen ist dem kleinkrämerischen Kalkulieren gewichen, seit den West-Bürgern dämmerte, daß ihre Brüder und Schwestern im Osten, ständig um Zuwendung anstehend, ihnen jenen Wohlstand abgraben, wegen dem ihnen das Leben „drüben“ doch so erstrebenswert erschien.

Nirgends wird das Unvermögen der politischen Klasse, in diesen Prozeß steuernd einzugreifen, wird ihr Hang, diesem Denken in Besitzständen nachzugeben, sinnfälliger als in der Auseinandersetzung um den Umzug von Bundestag und Bundesregierung nach Berlin. Am kommenden Freitag werden die Spitzen von SPD, FDP und CDU einen endgültigen Terminplan beraten. Es wird, so ist zu befürchten, ein erneuter Höhepunkt oder, so ist zu hoffen, ein trauriger Endpunkt dessen präsentiert werden, was die Bonner Arsenale an taktischen Finessen des hinhaltenden Widerstandes bereitstellen. Seit Monaten ist Bundesfinanzminister Theo Waigel damit beschäftigt, die Kosten des Umzuges zu kalkulieren. Nun liegen neue – die wievielten eigentlich? – Berechnungen vor. Damit sei, so auch die Einschätzung der SPD, eine entscheidende Voraussetzung für eine Beschlußfassung gegeben.

Die offizielle ist, wie meist, die halbe Wahrheit. Nicht, wie vorgegeben, die Baukosten in Berlin waren bei den Verhandlungen der vergangenen Wochen noch entscheidungsrelevant, sondern die Gelder, die zum Ausgleich in den Bonner Raum fließen; und an deren Üppigkeit gemessen, muß es sich beim Niederrhein um eines der strukturschwächsten Gebiete Deutschlands handeln. Diese Milliardenbeträge ermöglichten es, die in allen drei Parteien präpotente Rheinschiene ruhigzustellen. Solcher landsmannschaftlicher Klientelismus, der sich in Mark und Pfennig ausdrückt, definiert das Niveau, auf dem mittlerweile die deutschen Ost-West-Verhältnisse verhandelt werden.

Es ist ihrem Opportunismus und ihrer vornehmlich West-Berliner Herkunft geschuldet, daß sich die Umzugs-Protagonisten in Berlin der gleichen haushälterischen Rhetorik bedienen, um ihr Anliegen zu propagieren. Bundesregierung und Bundestag als Investitionsfördermaßnahme. Wer sich an solch heimeligen Sinngebungen orientiert, macht sich keine Gedanken mehr über den Stellenwert einer Hauptstadt Berlin in einer noch zu vereinheitlichenden Republik, der preist auch ohne Nachdenken die damit einhergehende Förderung des Ostens und macht im gleichen Atemzug die östliche Grenze möglichst dicht. Ein Verteilungskampf auf unterstem Niveau, darin spiegelt der Hauptstadtstreit den Zustand der Republik und macht vergessen, mit welchen Argumenten 1991 der Beschluß im Bundestag ausgefochten wurde.

Nicht am Geld fehlte es seither, wenn es um den Umzug ging, sondern am Willen, einen neuen republikanischen Zustand zu antizipieren. „Es wäre natürlich billiger, Deutschland wieder zu teilen“, witzelte Richard von Weizsäcker dieser Tage, auf die Kosten des Umzuges angesprochen. Der Präsident dürfte sich wundern, wieviel heimliche Anhänger der Zwei-Staaten-Theorie sich nicht nur in der SPD, sondern auch in seiner eigenen Partei finden lassen. Dieter Rulff