Griff in die parlamentarische Trickkiste

In Italien soll mit einer Vertrauensdebatte die schnelle Auflösung des Parlaments verhindert werden – überschattet von neuen Enthüllungen über Minister und den Staatspräsidenten  ■ Aus Rom Werner Raith

Heute beginnt in Italien eine Vertrauensdebatte, bei der sich entscheiden wird, wie und wann das Parlament aufgelöst werden kann. Zum siebten Male hintereinander steht Italien vor dem vorzeitigen Ende der Legislaturperiode: Erst 1992 waren die Italiener zu den Urnen gerufen worden, doch schon müssen Senat und Abgeordnetenkammer neu gewählt werden. Hauptgrund: Die Volksvertreter haben ihre Legitimation verloren. Fast ein Drittel von ihnen hat ein Straf- oder Ermittlungsverfahren am Hals.

Eine verquere Situation: Da hat sich unter dem ehemaligen Notenbankpräsidenten Carlo Azeglio Ciampi erstmals eine Regierung hervorgetan, die durch Taten überzeugte: Der Haushalt ist weitgehend saniert, die Inflation auf unter vier Prozent gedrückt und die Außenhandelsbilanz nach 22 Jahren wieder positiv. Und doch muß sie gehen – wegen der Korruptheit derer, die sie parlamentarisch in den Sattel gehievt haben.

Eine Mehrheit aus kleinen Parteien, den Ligen, vieler Ex-Kommunisten und einiger Christdemokraten will die Neuwahlen schon Ende März. Doch da sind auch noch die anderen, die das Ende ihrer Abgeordneten- und Senatorenzeit um jeden Preis hinausschieben möchten. Ein Großteil von ihnen hat wegen anstehender Strafverfahren kaum Wiederwahlchancen. Andere, wie der ehemalige Sozialistenchef Bettino Craxi, hoffen auf eine Verschiebung zumindest bis zu den Wahlen zum Europaparlament, in das sie notfalls über ausländische Kumpaneien einrücken wollen, Craxi etwa über die französischen Sozialisten. Verständlich, denn in Italien ist der Immunitätsstatus für Abgeordnete mittlerweile abgeschafft, den das Europaparlament noch garantiert – und gegen Craxi laufen inzwischen mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren.

Um die Wahlen zu verzögern, greifen die Neuwahl-Gegner mit vollen Händen in die Trickkiste. Beliebtester Schachzug: Maßnahmen, die dem Staatspräsidenten bei der Auflösung des Parlaments die Hände binden, zu der er laut Verfassung berechtigt ist. Dazu zählt auch die Vertrauensdebatte – sie wurde durch ein Mißtrauensvotum des Radikalen-Abgeordneten Marco Pannella erzwungen, das fast zweihundert Abgeordnete unterschrieben: Bekommt Ciampi das Vertrauen, kann Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro das Parlament nicht sofort auflösen; bekommt er es nicht, muß er zunächst nach einer anderen Mehrheit suchen. Beides kostet Zeit.

Zusätzlich bringen auch noch neue Enthüllungen den Staatschef selbst in Schwierigkeiten: Nach Aussagen ehemaliger Beamter des zivilen Geheimdiensts Sisde haben seit 1982 alle Innenminister ansehnliche illegale Zuwendungen bekommen – darunter Scalfaro, der Mitte der 80er Jahre das Innenressort leitete, ebenso wie der derzeitige Amtsinhaber Nicola Mancino.

Ergreift Ciampi während der Vertrauensdebatte das Wort, muß er dazu auch etwas sagen – was den Wahlgegnern die Chance für eine erneute Vertrauensdebatte gibt.

Der einzige Weg für schnelle Neuwahlen wäre ein Rücktritt Ciampis vor der Vertrauensabstimmung. Dann könnte Scalfaro mit etwas überdehnter Deutung der Verfassung annehmen, es gäbe keine regierungsfähige Mehrheit, und das Parlament sofort auflösen.