Lautes Grübeln über Luftangriffe

Die Nato-Führung erwägt wieder einmal Luftangriffe in Bosnien / Eine ernste Drohung an die Serben, oder soll nur die Öffentlichkeit in den Nato-Staaten beruhigt werden?  ■ Aus Brüssel Andreas Zumach

Wieder einmal wird in der Nato laut über Luftangriffe gegen serbische Stellungen in Bosnien-Herzegowina nachgedacht. Nachdem bereits im August letzten Jahres der Nato-Rat über die Frage diskutierte, haben jetzt die Regierungschefs der westlichen Militärallianz auf ihrem Brüsseler Gipfeltreffen öffentlich über solche Luftangriffe nachgedacht.

Ob diese Erwägungen lediglich der Beruhigung der öffentlichen Meinung in den Nato-Staaten dienen sollen, oder ob eine ernsthafte Drohung an die serbische Adresse beabsichtigt ist, war unter den über 1.500 Beobachtern des Gipfels umstritten. Wann und unter welchen Voraussetzungen Luftangriffe stattfinden könnten, blieb zunächst völlig unklar. Die entsprechenden Passagen des gemeinsamen Gipfelkommuniqués wurden von den 16 Regierungschefs bereits in ihren gestrigen Abschlußpressekonferenzen unterschiedlich interpretiert.

„Wir bekräftigen unsere Bereitschaft, unter der Autorität des UNO-Sicherheitsrates und entsprechend der Nato-Ratsbeschlüsse vom 2. und 9. August 1993 Luftangriffe durchzuführen, um die Strangulierung Sarajevos, der Sicherheitszonen sowie anderer bedrohter Gebiete in Bosnien- Herzegowina zu verhindern“, hieß es in Kapitel 25 der bereits am Montag nachmittag vorgelegten Fassung der Schlußerklärung.

Nach weiteren Diskussionen der 16 Außenminister während des Abendessens sowie einer Nachtsitzung der Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas, der Niederlande, Spaniens und Dänemarks – jener sechs Nato-Staaten, die Soldaten in die Unprofor- Truppe in Bosnien entsandt haben – wurde die Erklärung gestern morgen auf Vorschlag von Frankreich und Großbritannien um folgenden Satz ergänzt: „In diesem Zusammenhang fordern die Unprofor-Verantwortlichen zur Erstellung von Einsatzplänen auf, um die ungehinderte Rotation der Unprofor-Verbände in Srebenica (zwischen Kanadiern und Niederländern, d. Red.) zu gewährleisten und zu prüfen, wie der Flughafen von Tuzla für humanitäre Hilfsflüge geöffnet werden kann.“

Die Frage, ob vor etwaigen Luftangriffen die Unprofor-Verbände zumindest aus dem Umfeld der Zielgebiete oder gar aus ganz Bosnien zurückgezogen werden sollen, wollten gestern weder US- Präsident Bill Clinton und sein französischer Amtskollege François Mitterrand noch der britische Premier John Major und Bundeskanzler Helmut Kohl beantworten.

Wie der derzeit von bosnischen Regierungstruppen kontrollierte, aber in weitem Umkreis von serbischen Artilleriegeschützen umstellte Flughafen Tuzla „geöffnet“ werden könne, wollte Kohl „öffentlich nicht erläutern“. Major erklärte, die Sprache der Abschlußerklärung sei „deutlich genug, um von jedermann verstanden zu werden“.

Lediglich der französische Außenminister Alain Juppé wurde konkret: „Wir fliegen nach Tuzla mit Hilfsflugzeugen rein, und beim kleinsten Zwischenfall schießen wir zurück.“ Ähnliches gelte für Srebenica. Die Kampfflugzeuge für die Luftangriffe sollten von den Streitkräften der USA gestellt werden, erklärte Juppé auf einer Pressekonferenz.

Dieses schloß der US-Präsident zumindest nicht aus. Clinton betonte mehrfach, „die weitere Entwicklung“ hänge nun „völlig vom Verhalten der bosnischen Serben ab“. Er gehe davon aus, daß die offizielle Gipfelerklärung „von allen 16 Nato-Regierungen getragen wird und auch die Bereitschaft zu ihrer Umsetzung besteht“. Allerdings gebe es unter den Nato-Alliierten „immer noch einige Differenzen über Luftangriffe zur Beendigung der Strangulierung Sarajevos“. Luftangriffe lediglich zum Schutz von humanitären Hilfslieferungen per Lastwagenkonvoi oder Flugzeug seien bereits durch frühere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gedeckt. Lediglich Luftangriffe zu weitergehenden Zwecken bedürften einer zusätzlichen Autorisierung durch die UNO. Clinton verwies in Brüssel darauf, daß ihm „einige der anderen Regierungschefs während dieses Nato-Gipfels eine „größere Bereitschaft zu Luftangriffen signalisiert“ hätten, „als noch im letzten August“.