„Die Wut über die dreisten Arbeitgeberforderungen wächst“

■ Interview mit dem nordrhein-westfälischen Verhandlungsführer der IG Metall, Norbert Wrobel, zur aktuellen Tarifrunde

taz: Herr Wrobel, der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Walter Riester hält eine Verhandlungslösung in der diesjährigen Metalltarifrunde für „fast unmöglich“. Sie gehen in Nordrhein- Westfalen am Donnerstag in die dritte Verhandlungsrunde. Teilen Sie diese Einschätzung?

Norbert Wrobel: Ja, vor allem wenn ich mir das Arbeitgeberverhalten während der letzten Wochen im größten Tarifbereich in Deutschland, in NRW, ansehe.

Wo sehen Sie die größten Hürden?

Das größte Problem in NRW besteht darin, daß hier die Scharfmacher sitzen und der Arbeitgeberverband aus 32 Einzelverbänden besteht. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber versucht, es jedem örtlichen Arbeitgeberverband bis ins Detail recht zu tun. Das geht nicht gut und wird schlimm enden.

Die Arbeitgeber verlangen unter anderem eine Streichung des Urlaubsgeldes und Urlaubskürzungen bei längerer, zum Beispiel krankheitsbedingter betrieblicher Abwesenheit. Wo liegt die Schmerzgrenze der IG Metall?

Das kann man heute nicht beziffern, aber eins steht fest: Die Arbeitgeber dürfen auch nicht ansatzweise davon ausgehen, daß sie mit der IG Metall eine Urlaubskürzung oder eine Streichung des Urlaubsgeldes vereinbaren können. Hier in Nordrhein-Westfalen ist der sechswöchige Urlaub vor genau 15 Jahren durch einen Streik der Stahlarbeiter erkämpft worden. Wir denken überhaupt nicht daran, davon abzugehen. Wer an dieser Stelle den Tarifvertrag ändern will, muß wissen, daß es damit auf seiten der Arbeitnehmer und der IG Metall den erbittertsten Widerstand heraufbeschwören würde – gerade in NRW.

Die IG Metall ist nach den Worten von Walter Riester bereit, in den neuen Tarifvertrag „Elemente“ des VW-Modells zu übernehmen. Ist damit der Tausch von Lohn gegen Freizeit gemeint?

Wir haben in NRW eine 5,5-prozentige Lohnerhöhung verlangt und erklärt, daß wir der Beschäftigungssicherung im Rahmen dieser Lohnforderung einen besonders hohen Stellenwert einräumen. Wir würden deshalb die für 1995 vereinbarte Wochenarbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden gerne vorziehen und dafür eine Lohnanrechnung von 1,4 Prozent akzeptieren. Außerdem wollen wir eine Erleichterung von Teilzeitbeschäftigung. Dazu gehört ein Rückkehrrecht auf Vollzeitbeschäftigung für die Arbeitnehmer, die nur vorübergehend Teilzeitarbeit anstreben. Es geht uns auch darum, älteren Arbeitnehmern eine stufenweise Herabsetzung der Arbeitszeit auf Wunsch zu ermöglichen. Dafür würden wir auch hier eine Lohnminderung von 1,4 Prozent je reduzierter Stunde hinnehmen. Das sind „Elemente“ des VW-Vertrages.

Kostenneutral sind solche Arbeitszeitverkürzungen wohl nicht?

Nein, das kann auch gar nicht so sein und wäre wirtschaftspolitisch völlig unvernünftig. Wenn wir jetzt die Kaufkraft der Arbeitnehmer einschränkten, ginge es mit der Wirtschaft wegen der ausfallenden Nachfrage noch weiter den Bach runter. Das müßten auch einsichtige Unternehmer erkennen.

Die sagen aber, weil es der Metallbranche so schlecht gehe, werde jede weitere Kostenbelastung zusätzlich Arbeitsplätze vernichten.

Hier wird bewußt schwarzgemalt. Wir haben während der ersten Verhandlungsrunde die wirtschaftlichen Daten ausgetauscht und dabei festgestellt, daß die Rechnung der Arbeitgeber nicht stimmt.

Viele Metaller fürchten um ihren Job. Solche Existenzängste berühren auch die Mobilisierungsfähigkeit der IG Metall. Ist die IG Metall in dieser Situation überhaupt aktions- und streikfähig?

Wir verhandeln in NRW für fast eine Million Arbeitnehmer. Davon gehören weit über 650.000 der IG Metall an. Natürlich spielt die Angst eine große Rolle, aber gleichzeitig wächst auch die Wut über die dreisten Forderungen der Arbeitgeber und das Versagen der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die Mitglieder der IG Metall werden ihre Organisation nicht im Regen stehen lassen. Davon können die Arbeitgeber ausgehen. Wir werden kämpfen. Darauf kann sich jeder in NRW verlassen.

Wird die IG Metall den Streit bei einem Scheitern der Verhandlungen nicht zunächst im Südwesten der Republik ausfechten?

Bis heute ist darüber im IG-Metall-Vorstand noch keine Entscheidung gefallen. Das wäre auch viel zu früh. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wo wir die größte Mobilisierung erreichen, und dann wird die IG Metall entscheiden, wie es weitergeht.

Gespräch: Walter Jakobs