■ Extrawurst für Rechte zeitigt mageren Erfolg
: Was außer Ferienreisen und Discos haben zweieinhalb Jahre "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt" für die Arbeit mit rechtsradikalen Jugendlichen gebracht?

Extrawurst für Rechte zeitigt mageren Erfolg

Angela Merkel fühlt sich unverstanden. Als Reaktion auf das Pogrom in Hoyerswerda (1991) hatte die CDU-Bundesjugendministerin ein 60-Millionen-Mark-Programm für die Betreuung ostdeutscher Skinheads aufgelegt. Mit dem Geld verreisen Kahlrasierte in die Türkei und an die Jerusalemer Klagemauer, richten sich Krafträume ein und nehmen „Oi“-Musik auf. Das sei aber keine „Glatzenpflege auf Staatskosten“, wie die Medien immer behaupteten, sagt Angela Merkel. Im Gegenteil, mit dem Geld werde „auffälligen oder gefährdeten Jugendlichen ein Weg zur Integration in die Gesellschaft ermöglicht“.

Angesiedelt wurde das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) in 30 Orten Ostdeutschlands. Es entstanden 150 Projekte, etwa jedes vierte ein sogenanntes „hartes Projekt“, dessen Stammpublikum einem gefestigten rechten Weltbild anhängt. Rund 6.000 junge Menschen wurden bislang in das Aktionsprogramm aufgenommen, sie sind in die Ferien gefahren, haben Diskussionsveranstaltungen besucht, Ausstellungen gemacht und Fußball gespielt. Ein detaillierter Bericht aller Aktivitäten der vergangenen beiden Jahren wird der Ministerin in den kommenden Wochen zugehen. Angela Merkel nennt das Aktionsprogramm einen „Großversuch“, um „Handlungskonzepte und Interventionsmöglichkeiten zu suchen und zu erproben“. Sind da die 40 Millionen Mark, die in den ersten beiden Jahren ausgeschüttet wurden, zuviel, gemessen an der erschreckenden Arbeitslosenzahl im Osten und der zunehmenden Verwahrlosung der Jugend mit ihrer steigenden Gewaltbereitschaft? Immerhin sei es an einigen Orten gelungen, verkündet stolz die Pressesprecherin der Ministerin, verfeindete Gruppen im Sport zusammenzubringen. In Erfurt hätten rechte Jugendliche sogar schwarze Familien aus den USA eingeladen. Gertrud Sahler will die dünne Kette der Erfolge zu gerne verlängern: „In den AgAG-Standorten ist die Gewalt deutlich zurückgegangen.“

Schön wär's. Von Januar bis Juni 1993 zählte das Landeskriminalamt in Thüringen doppelt soviele Fälle von schwerer und gefährlicher Körperverletzung als im gesamten Jahr zuvor. In den drei großen Polizeidirektionen Gotha, Jena und Gera sei allein der Anteil an Körperverletzungen, an denen Täter aus der rechten Szene beteiligt waren, signifikant höher. Um einen weiteren Erfolg bemüht, erklärt die Pressesprecherin der Jugendministerin, die Kämpfe zwischen rechten und linken Jugendgruppen seien in den AgAG- Standorten doch zurückgegangen. Pustekuchen. Vor drei Jahren noch lieferten sich in Weimar verfeindete Gruppen regelrechte Straßenschlachten. Das ist zwar heute nicht mehr der Fall, dafür wenden die Rechten jetzt eine neue Taktik an: Sie überfallen nachts unliebsame Jugendliche aus dem linken Lager in deren Wohnungen und schlagen sie krankenhausreif. In einigen Fällen kam die Schlägerbande direkt vom „Dichterweg“, einem Projekt, das die Ministerin gerne als „Erfolg“ anpreist, weil sie den Jugendlichen bei einem Besuch die Bereitschaft abgerungen hatte, die Reichskriegsflagge vom Dach zu holen. Im vergangenen Sommer jedoch zeigten alte Nazis den jungen Kameraden im Klubkeller, wie man mit Waffen umgeht. Weimar, so die Pressesprecherin müde, sei „eben wegen des geschichtlichen Zusammenhangs ein sehr schwieriges Gebiet“.

Die Arbeit mit rechten Jugendlichen ist tatsächlich schwierig. Allerorten mangelt es an Fachpersonal. Auch im dritten, dem letzten Jahr des Aktionsprogramms, haben Experten noch keine Konzepte für die Arbeit mit Rechten parat. Erfahrungen müssen die 443 MitarbeiterInnen im Alltag sammeln. Austauschen können sie sich vor Ort mit umherreisenden Betreuern oder während ihrer Fortbildungsveranstaltungen. Ähnlich wie in der Drogenszene sind auch in der Arbeit mit Rechten die Grenzen zwischen Kumpanei und Hilfestellung fließend. Jugendforscher, Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter sind sich nicht einmal über die Grundsätze dieser Arbeit einig. Lediglich auf vier Leitsätze konnte man sich im Jugendministerium einigen: Keine Gewalt, kein Rekrutierungsfeld für rechte Organisationen, keine Propaganda für rechtsextremistische Organisationen, Parteien oder Veranstaltungen, keine Musik, die auf dem Index steht.

Der Sozialarbeiter Michael Koplin, 39, tätig im Berliner Skinheadklub „Wurzel“, dem wohl bekanntesten Glatzenprojekt der Republik, hält Symbole für unwichtig. Der Streetworker will sich nicht damit begnügen, Jugendlichen eine „Alternative zur Gewalt zu bieten, ohne ihre Haltungen zu verändern“. Seit zweieinhalb Jahren verfährt er nach dem alten Sozialarbeitermotto: Akzeptiere den Klienten wie er ist. Immer wieder hört er sich faschistische Sprüche an, schlägt sich zwischen besoffenen Jugendlichen die Nächte um die Ohren und läßt sich zum 130sten Mal vorlallen, was wo wieder alles plattgemacht wurde. Wie reagiert er auf rassistische Sprüche? „Eine Diskussion hat keinen Zweck. Das ist ein reiner Schlagabtausch. Ich argumentiere, und der Nazi kontert mit seinen Schablonen.“ Sinnvoller findet er Rollenspiele. Kurzerhand drückte er den Glatzen ein Mikrofon in die Hand, damit sie Passanten nach Reizthemen befragten. „Skins, die sich zuvor noch sehr menschenverachtend über Ausländer ausgelassen haben, vergaßen ihre eigene Rolle, Skinhead zu sein, und nahmen voll die Rolle des Reporters an. Fragten immer wieder: Warum denken Sie so?“

Auch heute glaubt Koplin nicht, daß die Skins ihre rassistische Haltung ohne weiteres verarbeiten. „Aber sie sind wandlungsfähig.“ Anfangs dachte er, er könne seine Klientel per Schocktherapie im Ausland läutern. Die Abenteuerreise nach Marokko inclusive Überlebenstraining in der Wüste hatte er bereits im Detail ausgetüftelt, als die rechten Skins meinten, in Deutschland gäbe es auch noch viel zu erleben, auf Marokko hätten sie einfach keine Lust.

Jeder elfte Arbeitslose im Berliner Bezirk Marzahn ist jünger als 25 Jahre. Als Koplin die Glatzen kennenlernte, hatte kaum einer von ihnen Arbeit. Koplin organisierte über ein Senatssonderprogramm Arbeit und verschaffte Wohnungen. Plötzlich genossen sie als unkrautjätende Jungs wieder einen passablen Ruf im Stadtteil. „Den wollen sie nicht aufs Spiel setzen“, sagt der Sozialarbeiter. Von der Polizei hat er sich sagen lassen, daß seit Bestehen des Glatzentreffs die Anzeigen um 80 Prozent zurückgegangen sind. Die Glatzen haben sich zu Beginn des Projekts selbst verpflichtet, in der Umgebung des Klubs keine „Action“ zu veranstalten.

Doch Verstöße kommen immer wieder vor. Vor allem am Wochenende, wenn Kahlköpfe aus allen Teilen Ostdeutschlands zur Disco anreisen. Wenn 200 Glatzen in der „Wurzel“ feiern, ist Gewalt im Spiel. Vor einigen Wochen wurde Koplin zusammengeschlagen, seitdem fallen die Discos aus. Mit dem Thema Gewalt ist der Sozialarbeiter immer pragmatisch umgegangen. Zeitweise fuhr er die Skins sogar mit dem Bus zu einer anderen Disco – als Beitrag zum Abbau von Streß für Fahrgäste der S-Bahn.

Trotz des mageren Ergebnisses sieht Koplin das Projekt „Wurzel“ nicht als gescheitert an. Auf jeden Fall seien kriminelle Energie und prügelnder Rassismus gedämpft worden. Ist es ein Erfolg, wenn Jugendliche, statt Baseballkeulen zu schwingen, „nur“ rechte Sprüche klopfen? Drei von 24 Gruppenmitgliedern sitzen im Knast, Michael Koplin organisiert bereits die ersten Schritte für das Leben danach. Ein Schritt in Richtung Gewaltabbau? Ein eigenes Aktionsprogramm braucht dieser klassische Fall sozialarbeiterischer Einzelfallhilfe bestimmt nicht. „Ich würde mich im Klub nicht mehr so einseitig auf die Arbeit mit Rechten konzentrieren“, sagt Koplin. Sonderprogramme für Rechtsradikale hält er mittlerweile für „bedenklich“. Geld und gute Worte allein helfen nicht gegen Gewalt.