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Behinderter Frau Hakenkreuz ins Gesicht geschnitten

■ Rechtsradikale Täter aus Halle flüchtig / Nicht zum erstenmal wurden Behinderte überfallen

Halle (taz) – Drei rechtsradikale Jugendliche haben in Halle einer 17jährigen Frau ein Hakenkreuz ins Gesicht geschnitten. Die Rollstuhlfahrerin war am Montag gegen 13 Uhr auf dem Weg vom Gymnasium ins benachbarte Ärztehaus, als die Täter über sie herfielen. Nach ersten Ermittlungen der Polizei war niemand in der Nähe, der den Überfall hätte sehen können. Die Frau versuchte, sich zu wehren, indem sie einen Angreifer mit dem Rollstuhl anfuhr.

Nach den Tätern – zwei jungen Männern und einer jungen Frau – wird bundesweit gefahndet. Von ihnen fehlte bis Redaktionsschluß jede Spur. Sie werden der rechten Hallenser Szene zugeschrieben. Sie sollen zwischen 15 und 20 Jahren alt sein, einer von ihnen trägt Glatze.

Die Schnittwunde in der linken Wange der jungen Frauist ist drei mal vier Zentimeter groß und „gut zu sehen“, sagte gestern Polizeisprecher Rolf Berger lapidar. Es sei eine oberflächliche Ritzung, beigebracht mit einem Messer; die Heilungschancen stünden nach Auskunft der behandelnden Ärzte der Universitätsklinik gut. Notfalls, so Berger, könnten verbleibende Narben mit Hilfe einer kosmetischen Operation entfernt werden. Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus konnte die junge Frau vorgestern abend wieder nach Hause fahren.

In der Nacht zum Dienstag durchsuchte die Polizei insgesamt 200 Treffpunkte und Wohnungen der rechtsradikalen Szene in Halle und Umgebung. Drei Jugendliche wurden festgenommen, mußten jedoch später wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Gestern verteilte die Polizei in Halle Flugblätter und Phantombilder der mutmaßlichen Täter und fuhr mit einem Lautsprecherwagen durch die Stadt. Daraufhin seien etwa 50 Hinweise „unterschiedlicher Qualität eingegangen“, sagte der Polizeipressesprecher. Bereits im letzten Jahr gab es in Halle eine Reihe von Überfällen auf behinderte Menschen. In einem Bus wurden Taubstumme verprügelt. Jugendliche hatten sich durch ihre Mimik und Gestik „provoziert“ gefühlt. Bundesweit diagnostizieren Experten ein deutlich aggressiveres Klima gegen Behinderte. Statistiken über rechtsradikale Gewalt gegen Behinderte gibt es jedoch kaum.

Entsetzt über die Tat vom Montag zeigt sich der Reichsbund der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten, Sozialrentner und Hinterbliebenden (VdK). Deren Präsident Walter Hirrlinger erklärte: „Die Gewalt richtet sich derzeit gegen alle Schwachen.“ In einigen Fällen habe es regelrechte Treibjagden auf Menschen mit Behinderungen gegeben. Einen Anstieg der Gewalt verzeichnet er seit 1992. Damals hatte das Amtsgericht Flensburg Urlaubern, die mit Behinderten in einem Hotel untergebracht worden waren, Anspruch auf Schadenersatz wegen „entgangener Urlaubsfreude“ zugesprochen.

Hirrlinger forderte gegenüber der taz erneut, den Schutz Behinderter ins Grundgesetz aufzunehmen. „Dies wäre ein Signal, daß der Staat Behinderte ganz besonders beschützen will.“ Zumindest aber ein Antidiskriminierungsgesetz sei beim gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft fällig. Annette Rogalla

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