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■ KommentarDemofreie Hauptstadt

Was nützen die schönsten Gesetze, wenn man nicht die Macht hat, sie gegen die Polizei durchzusetzen? Das haben 300 Menschen erfahren müssen, die gestern vor dem Schloß Bellevue von ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen wollten. Als am vergangenen Montag der Polizeipräsident die Durchführung einer Demonstration in unmittelbarer Nähe des Schlosses Bellevue untersagte, kam das praktisch einem Demonstrationsverbot gleich. Schließlich wollten die Veranstalter den mexikanischen Botschafter, der sich am Mittwoch beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten aufhielt, ihren Abscheu gegen die Menschenrechtsverletzungen in seinem Land kundtun. Deshalb intervenierten sie beim Verwaltungsgericht mit einer einstweiligen Anordnung gegen diese Einschränkung des Demonstrationsrechts. Mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht bestätigte den Veranstaltern, daß die Demo wie geplant durchgeführt werden kann.

Das gefiel der Polizeiführung nicht. Sie ließ das Schloß Bellevue weiträumig absperren, blockierte die Straßen mit Wannen, und der Einsatzleiter erklärte den erstaunten Veranstaltern, daß sie ihre demokratischen Rechte andernorts wahrnehmen müßten. Dabei berief sich der Beamte auf einen Bescheid des Oberverwaltungsgerichts, der weder ihm noch den Veranstaltern zu diesem Zeitpunkt vorlag und schon deshalb keine Rechtsgültigkeit haben konnte. Weil derartige Beschlüsse erst rechtswirksam werden, wenn sie zugestellt worden sind, war der vorauseilende Gehorsam des Einsatzleiters schlichtweg gesetzwidrig. Da der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts erst kurz vor Beendigung der Demo zugestellt worden ist, fällt es schwer, an einen stundenlangen polizeilichen Fehler zu glauben.

Es steht zu befürchten, daß die erfolgreiche Behinderung einer genehmigten Demonstration nur eine Premiere war. Auftakt für eine demofreie Hauptstadt Berlin. Peter Lerch

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