Die Stasi übergab den Sprengstoff

Prozeßbeginn um Anschlag auf Berliner Maison de France: Stasi-Offizier soll Drahtzieher des internationalen Terrorismus sein / Tatbeteiligter stellte sich überraschend  ■ Aus Berlin Gerd Nowakowski

Der Zufall führte tödliche Regie. Die Gruppe, die am 25. August 1983 das französische Konsulat im Berliner Maison de France besuchte, wollte gegen die französischen Atomwaffenversuche im Pazifik protestieren. Andreas G. machte erst seit einigen Tagen bei Gruppe „Fasten für das Leben“ mit, ebenso der Radsportler Michael H., und die damals 21jährige Kristina N. begleitete mit ihrem sechs Monate alten Baby Yvonne nur eine Freundin.

„Ein Knall“, so erinnert sich der jetzt 35jährige Andreas G., „war nicht zu hören. Schlagartig ist es dunkel geworden. Es war ein Gefühl, als jagten Stromstöße durch den Körper.“ Dann sei er durch den Raum geflogen, während Steine auf ihn stürzten. Der Vergolder G. kam wie zweiundzwanzig andere Menschen mit schweren Verletzungen davon. Der neben ihm stehende Michael H. wurde dagegen von einem herabstürzenden Stahlträger erschlagen.

Mitverantwortlich für den Sprengstoffanschlag, dessen Wucht das Gebäude über mehrere Etagen aufriß, soll der massige Mann mit den kurz geschorenen Haaren und Vollbart sein, der gestern aufmerksam die Schilderungen der Opfer verfolgte. Die Staatsanwaltschaft hält Helmut Voigt für einen Drahtzieher des internationalen Terrorismus. In 17 Verhandlungstagen soll bewiesen werden, daß der ehemalige Oberstleutnant Voigt als Chef der für „internationalen Terrorismus“ zuständigen Stasi-Abteilung detaillierte Kenntnisse über die Attentatspläne hatte und den Sprengstoff an die Täter übergeben ließ.

Zu dem Anschlag auf das Maison de France bekannte sich die „Gruppe Carlos“. Mit der Bombe sollte Druck auf die französischen Behörden ausgeübt werden, in Paris festgenommene Mitglieder der Gruppe freizulassen. Iljitsch Ramirez Sanchez war 1975 mit dem Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien weltweit bekannt geworden. Damals wurden drei Menschen erschossen und elf Minister als Geiseln genommen.

Der Stasi-Mann Voigt hatte seit 1979 ständigen Kontakt mit der „Gruppe Carlos“, die in den Akten unter dem Stichwort „Separat“ geführt wurde. Sowohl mit „Carlos“ als auch mit dem Deutschen Johannes Weinrich kam es in Ost- Berlin – so die Anklage – „zu zahlreichen Treffen“. Das Mielke-Ministerium war auch informiert, als der mit Diplomatenpaß reisende Weinrich im Sommer 1982 mit 24 Kilo Sprengstoff eintraf. Die brisante Fracht wurde Weinrich zunächst abgenommen – auf dessen nachdrückliche Intervention aber ein Jahr später wieder ausgehändigt: exakt neun Tage vor dem Anschlag auf das Maison de France. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte Oberstleutnant Voigt nach Überzeugung der Ermittler durch eine „von ihm angeordnete konspirative Gepäckdurchsuchung“ bei Weinrich längst genaueste Kenntnis der Anschlagpläne.

Die bundesdeutschen Ermittler, die den nach der Wende untergetauchten Voigt im September 1992 in Athen faßten, haben noch ein lange Liste von Vorwürfen in der Tasche. Deswegen ist die vierseitige Anklage, die sich ausschließlich auf das Berliner Attentat beschränkt, auch ein Dokument des Scheiterns der Ermittler, dem gewieften Geheimdienstmann Voigt seine Rolle als Gastgeber und Unterstützer des internationalen Terrorismus gerichtsfest nachzuweisen. Die Anklage krankt auch daran, daß nur der Mann im Hintergrund auf der Anklagebank sitzt: Die Haupttäter leben in Syrien, und der Bombenleger wurde später ermordet.

Angeblich hatte Voigt jahrelang auch besten Kontakt zur palästinensischen Terrorgruppe um Abu Nidal. Vor Anschlägen auf die Flughäfen von Rom und Wien soll die Gruppe in der DDR mit Waffen versorgt worden sein. Auch für RAF-Kommandos war Voigt der Quartiermacher, glaubt die Staatsanwaltschaft. Vor den Attentaten im Sommer 1981 auf das US-Luftwaffen-Hauptquartier in Ramstein und auf den amerikanischen General Kroesen machten die RAF-Kader in der DDR Waffenübungen – einschließlich des Umgangs mit der Panzerfaust, mit der die RAF dann Kroesen ins Visier nahm. Der Jurist Helmut Voigt – auch Führungsoffizier des taz-Mitarbeiters Till Meyer – war daneben auch für die Betreuung der RAF-Aussteiger zuständig.

Der bullige Voigt verweigerte am ersten Verhandlungstag die Aussage. Es sei nicht einmal bewiesen, ob der von Voigt angeblich freigegebene Sprengstoff tatsächlich beim Anschlag verwendet wurde, erklärte sein Anwalt. Die selbstsichere Pose könnte sich ändern. Überraschend stellte sich der Polizei in Berlin ein ehemaliger Angehöriger der syrischen Botschaft in der DDR. Der wegen Beihilfe zum Mord Gesuchte soll den in der Botschaft zwischengelagerten Sprengstoff an Weinrich übergeben haben.