Ein Kilo Schnaps und ein Schuß ins Gesäß des Schwiegersohnes

■ Ein schwieriger Waffenkauf als mögliche Ursache für mehrfachen Totschlag im Asylbewerberheim?

Herr S. sitzt völlig unbewegt auf dem Angeklagten-Stuhl. Dem 42-jährigen wird dreifacher Totschlag vorgeworfen. Die Opfer: zwei Ägypter. Das dritte Opfer, eine Iranerin, trifft er nicht. Doch dieser Vorfall konnte gestern vor dem Hamburger Landgericht noch nicht aufgeklärt werden. Ebenfalls nebulös blieb die Tat, bei der Herr S. fünf Jahre zuvor seinem Schwiegersohn eine Kugel durch den Hintern gejagt hatte.

Damals war Herr S. freigesprochen worden. Im Zusammenhang mit dem Totschlagsdelikt soll diese Tat aber auch noch einmal aufgerollt werden. Der Richter, weißhaarig und äußerst gepflegt, schaut Herrn S. gnädig, aber ernst an. Gerüchte sagen, er sei ein strenger Richter.

Der Fall scheint aufwendig: Rund 20 ZeugInnen müssen angehört werden, acht Verhandlungstermine sind bis jetzt geplant. Gestern konnten nur der Angeklagte und ein Zeuge vernommen werden. Zudem macht Herr S. die Sache nicht unkomplizierter: Er habe nie eine Pistole gehabt und wisse auch gar nichts davon – so lautet sein erstes Bekenntnis vor den RichterInnen und den Schöffen. Der Richter wirkt leicht ungehalten.

Zunächst wird ein kleines Familiendrama sichtbar. Als ein weit entferntes Familienmitglied sich als Ehemann für seine Tochter Edita bewirbt, schlägt Herr S. diesen Wunsch mit der Begründung aus, sie würde dann schlecht behandelt werden. Doch der Ehemann in spe läßt sich nicht so schnell abweisen und bedroht, so Herr S., ihn mit Pistolen. Daraufhin habe er der Heirat zugestimmt. Als seine Tochter später von ihrem Ehemann geschlagen wird, will er eingreifen, es gibt ein Handgemenge, dabei löst sich ein Schuß aus einer Pistole, der durch das Gesäß des Ehemannes geht.

Der Ehemann A. schildert sowohl das Verhältnis zu seinem Schwiegervater als auch den Tathergang bedeutend anders. Der 22jährige Automechaniker behauptet, daß seine Schwester und die Ehefrau von Herrn S. sich gestritten und verflucht hätten. Er habe daraufhin S. gebeten, den Streit zu schlichten. Aber S. habe nicht daran gedacht, sondern ihn zuerst mit der Pistole auf den Kopf geschlagen, danach habe er auf ihn geschossen.

Pistolen spielen auch bei dem Totschlag eine Rolle. Herr S. schildert, wie er und ein Bekannter von ihm, Herr M., zusammen sitzen und „ein Kilo Schnaps“ trinken, da M. gerade Vater geworden ist. Im Verlaufe dieses geselligen Zusammenseins habe ihm M. eine Pistole für 1500 Mark verkauft, die er am nächsten Morgen habe bezahlen wollen.

Doch schon wenig später (am selben Tag) habe M. das Schußgerät zurückgefordert. Er, S., habe sie jedoch behalten wollen. Daraufhin habe M. ihn mit dem Messer bedroht und auch zugestochen. Er habe deshalb die Pistole gezogen und geschossen. Zu diesem Zeitpunkt sei er sehr betrunken gewesen. Wie er die Ägypter habe treffen können, wisse er nicht. Auch von der bedrohten Iranerin wisse er nichts.

Ein Schöffe guckt hilfesuchend nach oben, unter die Decke. Doch da steht die Wahrheit nicht. Was sich wirklich unter den jugoslawischen Roma in dem Hamburger Asylbewerberheim abgespielt hat und warum, wird das Landgericht erst wissen, wenn weitere Zeugenaussagen Licht in die Sache gebracht haben. Greta Eck