Kalkuliert, banal, anspruchsvoll
: Gegen den Grabesmuff

■ „Schauplatz Museum“: Inszenierte Analogien zwischen Ort und Ereignis

Museumsbesucher gehören ja eigentlich ins 19. Jahrhundert. Wer sich noch nicht mit einem Buch in der Hand oder im Foyer des Theaters seiner Antiquiertheit schämt, dem wird spätestens im Museum klar, was er gerade in der Glotze verpaßt hat. Immer weniger Besucher werden von den sogenannten „Beständen“ eines Museums noch angezogen, und selbst die großen, zum Pflichtprogramm gehörenden Ausstellungen beklagen einen zunehmenden Schwund. Die stillen, der Kontemplation gewidmeten Räume dienen vornehmlich müden Touristen und Opfern des Ereignisfernsehens zur Erholung. Ansonsten aber bleiben die aufgereihten und durchnumerierten Toten hier unter sich.

Um diesem Grabesmuff der Museumskultur abzuhelfen und um die Volksbildung nicht ganz den Klauen der elektronischen Medien zu überlassen, stellte der „Museumspädagogische Dienst“ vor sieben Jahren ein sehr interessantes Projekt auf die Beine. „Schauplatz Museum“ nannte sich eine Veranstaltungsreihe, die alljährlich für zwei Wochen den Orten andächtiger Stille und Langerweile etwas von jenem Ereignischarakter geben wollte, der sich nicht qua Fernbedienung ins Haus beamen läßt. Zwischen Weihnachtstrubel und Berlinale als Lückenbüßer geschickt plaziert und mit einer finanziellen Ausstattung, die sich der Nullgrenze annähert, ist es den Veranstaltern auch dieses Jahr wieder gelungen, ein sehr vielversprechendes Programm ungewöhnlicher Ausstellungen, Theateraufführungen und Konzerte anzubieten.

Die zwanzig Berliner Museen werden dabei nicht einfach als beliebige Veranstaltungsorte genutzt, sondern zwischen dem jeweiligen Raum mit seinen Ausstellungsgegenständen und dem, was darin geschieht, werden Entsprechungen und Analogien hergestellt, teils zufällig und ganz banal, teils sehr kalkuliert und anspruchsvoll.

Im Ägyptischen Museum zum Beispiel, gleich neben den Zeugnissen der Pyramidenspezialisten, gibt der Bildhauer Ulrich Rückriem Auskünfte über seine Technik der Steinverarbeitung. Im Alten Museum am Lustgarten zeigt Pit Kroke Visionäres: seine Skulpturen für eine Metropole, vorerst nur auf Dias in den öffentlichen Raum einmontiert, werden für Kontroversen sorgen. Um das Verhängnis des guten Geschmacks und den Wandel des Lebensstils geht es im vornehmen Charlottenburger Bröhan-Museum, und im Georg-Kolbe-Museum ist alles Rodin. Nicht versäumen sollte man Christian „De Niro“ Brückner mit seiner Lesung „Digest der existentialistischen Lebensart“ inmitten der Ausstellung „Fifties“ des Kunstgewerbemuseums, und unterhaltsam ist sicher auch die Lesung aus dem Liebesleben der Natur mit dem schönen Titel „Der balzende Bandwurm“ – natürlich im Museum für Naturkunde.

Der Charakter des Fragmentarischen und der Kunstsinn des zwanzigsten Jahrhunderts vereinigen sich in Ort und Wort im Pergamonmuseum: Passagen aus James Joyces „Ulysses“, gelesen vor der Kulisse versprengter Altarteile. Joyce kommt noch einmal zu Wort, wenn im Werkbund-Archiv, Hort der Alltagskultur, Otto Sander Vorschläge von Joyce und Beckett zum Thema „Kill Your Idols“ unterbreitet. Im Verborgenen Museum träumt Maren „Auf-du- und-du-mit-dem-Stöckelschuh“ Kroymann „Frauenträume“ von Elfriede Jelinek und Ingeborg Bachmann.

Schön ungewöhnlich ist eine Inszenierung des Theaters Karambole (Sternenfrucht) in der Kuppel der Zeissplanetariums. Das Stück „Der Tropfen“ von Guy Foissy wird in einem vollständig abgedunkelten Raum gespielt und läßt den blindgewordenen „Zuschauer“ mit allen seinen übrigen Sinnen die ganze Irritation eines fremden, unbekannten Ortes erfahren. Das Stück ist die Präsentation des Projektes „Museum der Sinne“, das mit seiner Ausstellung den überstrapazierten Augensinn im Dunkeln tappen läßt.

Der große Aufmacher von „Schauplatz Museum“ ist aber das Gastspiel des Wiener Burgtheaters. Denn der Mensch gewordene Affe in George Taboris Kafka-Inszenierung, gespielt von dem verkrüppelten Schauspieler Peter Radtke, wird nirgendwo anders als im Affenhaus des Zoologischen Gartens, unserem Tiermuseum, seinen „Bericht für eine Akademie“ vortragen. Und wegen der bevorstehenden Faschingstage: Einlaß nur mit King- Kong-Kostüm! Matthias Schad