Die Arbeit mit dem Schamgefühl

■ Ein Gläubigerservice der ganz besonderen Art: Schwarzgekleidete Männer mit Schirm, Charme und Melone klebenn wie die Kletten an den Fersen von säumigen Schuldnern - bis die völlig entnervt blechen

Der Schwarzgekleidete streicht sich die Fliege glatt. Mit den Fingerspitzen korrigiert er den Sitz der Melone. Noch ein letzter Blick in den Spiegel, bevor er sich den Griff des Regenschirms über den Arm hängt. In den kommenden sechs Stunden wird der Herr im Outfit eines viktorianischen Gentleman säumige Schuldner verfolgen. Mit steinerner Miene. Aber immer in angemessenem Abstand. Denn die Verfolgung säumiger Schuldner erfordert Distanz. Der Herr, der im Gläubigerauftrag dem Schuldner auf Schritt und Tritt folgt, wirkt bedrohlich. Dabei tut er nichts weiter, als dem Zahlungsunwilligen auf den Fersen zu bleiben.

Wenn es sein muß, bleibt er stundenlang vor der Haustüre seines Opfers stehen. Doch spricht er den Schuldner weder an, noch gibt er ihm irgendwelche Auskünfte. Erst wenn er selbst angesprochen wird, zückt er eine Visitenkarte mit einer Telefonnummer, unter der der Verfolgte sich über den Grund der eigenwilligen Beschattung erkundigen kann. „Nötigung“, sagt Sven Gärtner vom Arbeitskreis Neue Armut, der in der hartnäckigen Gläubigerverfolgung eine unerlaubte Inkasso-Methode sieht.

Als erweiterte Mahnschreiben indes betrachtet der Gründer Gerd Müller aus Lichterfelde die Tätigkeit seiner Angestellten. Auf die Idee zu dieser eigenwilligen Gläubigerjagd war der 48jährige Ex-Polizist aus Lichterfelde durch einen Filmbericht über japanische Geldeintreiber gekommen. Mit einigen Mühen gelang es ihm, die Schwierigkeiten der Gewerbeanmeldung zu überwinden, aber schließlich konnte er im Juni vergangenen Jahres zum ersten Mal seine „Schwarzen Männer“ einsetzen. „Es war einen Versuch wert“, sagt Gerd Müller, der seine Agentur nicht mit einem Inkasso-Dienst verwechselt sehen will. „Wir arbeiten ausschließlich mit dem Schamgefühl der Leute und erzeugen einen gewissen moralischen Druck. Mit den Verhandlungen zwischen Schuldner und Gläubigern haben wir nichts zu tun.“ Der Chef der „Schwarzen Männer“ nimmt ausschließlich Aufträge von Kunden an, die ihn von der Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen überzeugen können.

300 Mark plus Mehrwertsteuer kostet den Kunden ein Vier-Stunden-Einsatz des schwarzen Mannes. Jede weitere Stunde noch mal 50 Mark. Die meisten Einsätze hat der Herr mit der Melone derzeit in Ostberlin und Umgebung. Dort gibt es immer noch kaum Gerichtsvollzieher. Ein umfangreiches Betätigungsfeld. Allein in Berlin sind mehr als 100.000 Haushalte überschuldet. Wenn es mit der Konjunktur den Bach runtergeht, boomt nur noch eine Branche: Inkasso-Unternehmen. Denn im Zuge der wachsenden Verschuldung übertragen immer mehr Banken, Geschäfte und städtische Unternehmen ihre Forderungen an Inkassodienste, von denen es 15 in Berlin gibt. Diese Branche verzeichnete fürs vergangene Jahr eine Zuwachsrate von sieben Prozent.

Wird einer dieser Inkassofirmen eine Forderung übertragen, folgt in der Regel ein Strom von Mahnschreiben. Nicht selten mit erhöhten Gebühren, die auf die einzutreibende Summe draufgeschlagen werden. Die Modelle des Inkassos, einerseits Aufkauf uneinbringlicher Forderungen zu einem Prozentsatz des Nominalwertes ebenso wie die prozentuale Beteiligung am Erlös, führen dazu, daß der Geschäftserfolg bei jedem Mitarbeiter Methoden notwendig macht, die am Rande der Legalität liegen.

Mit seiner Geschäftsidee, die Gerd Müller sich sogar patentieren ließ, bewegt er sich allerdings außerhalb des Inkassowesens, das strengen gerichtlichen Kontrollen unterliegt. Und genau das kritisiert Sven Gärtner vom Arbeitskreis Neue Armut: „Ich halte diese Art von Schuldeneintreiben für eine ganz besonders üble Inkassomethode, die meines Erachtens an Rufmord grenzt und strafrechtlich geahndet werden müßte.“ Außerdem verweist er darauf, daß derartige Bloßstellungen von Gläubigern selbst in den USA verboten seien, nachdem ähnliche Gewerbezweige dort mit allen erdenklichen Auswüchsen gewuchert hatten. Sven Gärtner hält den Einsatz nach Art des „Schwarzen Mannes“ auch für datenrechtlich äußerst bedenklich und sieht in ihnen auch Verstöße gegen datenrechtliche Bestimmungen. Eine Strafanzeige des Berliner Arbeitskreises Neue Armut wegen illegaler Inkassotätigkeit blieb jedoch erfolglos, weil eine Verbandsklage in diesem Zusammenhang nicht zugelassen wird. Peter Lerch