Auf der Flucht vor der „Koralle“

■ Ein Hörspiel von Max Goldt um 22.05 Uhr bei Bayern 2

Ruth Frau, einst eine Schaupiel- Ikone der Adenauer-Ära, ist alt geworden. An ihrem gotischen Stollentisch sitzend, hat sie gerade ihre Memoiren vollendet. Um die CD ihres verstorbenen Mannes David de München, dem Erfinder des Westerland-Sounds, zu promoten, bricht Frau Frau mit ihrer jahrelangen Interview-Abstinenz; und wir dürfen live dabei sein.

Natürlich ist Ruth Frau niemand anderes als Max Goldt. Auch den Interviewer spricht der Meister selbst – und David de München? Max Goldt. Drei gute Gründe also, den desinteressierten Fragen und ungelenken Überleitungen eines Interviewers zu folgen, dessen kritische Kompetenz in der Frage gipfelt: „Alkohol, Tabletten. Warum?“

Max Goldt, dessen Kolumne „Aus Onkel Max Kultur-Tagebuch“ in der Titanic allmonatlich manches Merkwürdige und Lehrreiche zutage fördert, zeichnet in „Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle“ den Weg einer 50er-Jahre-Diva nach. Sorgsam achtet er dabei darauf, kein Klischee zu vermeiden: Langsam gleitet der Zuhörer tiefer in die immer bizarrer werdende Welt der Frau Frau, die, auf der Flucht vor dem Skandalblatt Koralle, auch schon mal ihren Sohn an einen homosexuellen Journalisten verliehen haben soll, damit er nichts über die Ladendiebstähle ihrer sektenabhängigen Tochter schreibt. „Sicherlich nur eine böse Verleumdung?“ – „Nein, nein, das stimmt. Die beiden haben geflippert, gekickert und Bugs- Bunny-Filme geschaut. Mein Sohn hat noch lange davon geschwärmt. Zu Hause hatte er keinen Flipper.“

Als David de München gönnt sich Max Goldt ein paar Einlagen der gehobenen Songunterhaltung, unter anderem eine „As time goes by“-Version mit sehr eigenwilliger Klavierbegleitung. Ein Kostprobe des „anderen“, des „wahren“ David de München.

Ist nun „Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle“ eine Parodie von Loriotscher Stilsicherheit? Vielleicht. Wer letzten Sonntag das „Spiegel-TV“-Interview von Hellmuth Karasek mit Elke Sommer gesehen hat, weiß allerdings: Diese Ursendung ist ein Reality- Hörspiel. Nur, daß man nach Karaseks Promi-Interviews immer etwas dümmer und verstimmter ist als vorher. Bei Max Goldt hingegen führt das Wissen um die Existenz eines so absonderlichen Möbels wie eines „gotischen Stollentisches“ – was immer das sein mag – zu einer Glückseligkeit, zu der nur die Erkenntnis einer wirklich bedeutenden Wahrheit befähigen kann. Jochen Meißner