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Unfrommes von den Rittern der Unterwelt

Die Mafia kungelt mit Logen und Katholikenvereinigungen. Von der „P 2“ zum „Heiligen Grab zu Jerusalem“  ■ Aus Rom Werner Raith

Palermos Antimafia-Ermittler wanden sich: Ja, man müsse, man werde dem noch nachgehen ... Doch so ganz genau wollten es die Fahnder damals, Anfang 1993, noch nicht wissen. Der Fall war selbst für die eben neu konstituierte Antimafia-Sonderkommission unter dem beherzten Generalstaatsanwalt Caselli ziemlich heikel: Mafiosi sollen nicht nur in einer Reihe von Gruppen, die den mächtigen Freimaurerdachverbänden angehören, das Sagen haben. Auch in ganz und gar „unverdächtigen“, kirchenverbundenen Organisationen sollten Treffen zwischen korrupten Beamten und mafiaverbandelten Unternehmern angebahnt worden sein.

Mittlerweile ist es unübersehbar: Nahezu überall, wo die Mafia auftritt, sind auch andere Bünde nicht ferne, die mehr oder weniger geheim tätig sind. Neben einigen Freimaurerlogen ins Blickfeld gerückt ist dabei auch der „Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“, eine offiziell frommen Katholiken vorbehaltene Gruppierung mit ebenfalls recht heimlichtuerischem Charakter.

Ausgerechnet ihr sizilianischer Statthalter, Erzbischof Cassisa, ist in eine höchst dubiose Angelegenheit verwickelt: Vom Mobiltelefon seiner Kurie hat der steckbrieflich gesuchte Mehrfachmörder und derzeitige Vorsitzende des Mafia-Leitorgans „Cupola“, Leoluca Bagarella, Gespräche geführt. Außerdem soll sich der Monsignore ansehnlich mit Schmiergeldern bereichert und an Subventionsbetrug aus EG- Kassen beteiligt haben – und dies jeweils mit aktiver Unterstützung des besonders aggressiven Clans der Corleonesier.

Sollten sich die Ermittlungen über derlei Logen und Orden nun allmählich doch ausweiten, stehen so manchem schlimme Zeiten bevor – möglicherweise auch in Deutschland. Speziell in der Welt der Bankiers und dem Topmanagement. Jahrelang konzentrierten sich Italiens Ermittler, wenn schon mal von Zusammenspiel zwischen Logen und Mafia die Rede war, auf eine Gruppe: die 1981 aufgeflogene Loge „Propaganda 2“ des „Maestro Venerabile“ Licio Gelli, eine nach Angaben des Dachverbandes „Großer Orient Italiens“ deviante, auf Abwegen wandelnde, Gruppe. Doch mittlerweile müssen die Strafverfolger immer öfter in vorgeblich harmlosen „Kulturzirkeln“ und „Spirituellen Treffpunkten“ nachgucken, wenn sie Mafiaverbindungen oder Geldwäschewegen nachspüren.

Fast 600 Einzellogen weist der Freimaurerbund „Großer Orient Italiens“ auf, mit mehr als 18.000 Mitgliedern; die Konkurrenz der „Großen Loge Italiens“ kommt auf 255 Einzellogen und 7.000 Mitglieder. Alleine in Sizilien sind 113 Logen bekannt. Sie tragen mitunter eher nüchterne, von Gründerfiguren oder Vorbildern abgenommene Namen („A. Lagi“, „G. Mazzini“), oft aber auch esoterische oder kryptische Bezeichnungen (Nationale Italienische Großloge „AA. LL. AA. MM. Sokrates“, „Freie Jugend Söhne Oretos“). Manche haben nur ein paar Mitglieder, die größten mehrere hundert („Lux“ mit 339, „Palermo“ mit 281, „Garibaldi“ mit 198).

Daß der ehemalige Chef der „Propaganda 2“ (P 2) und seine alten Kombattanten trotz der per Gesetz verfügten Auflösung seiner Gruppe noch immer eine herausragende Rolle spielt, ist überaus wahrscheinlich: Der 1982 in der Schweiz verhaftete, dort aus dem Gefängnis ausgebüchste „Maestro Venerabile“ hatte sich 1988 wieder in der Schweiz gestellt. Er war aber von dort mit derart restriktiven Auflagen nach Italien ausgeliefert worden, daß man ihm just wegen der schwersten ihm zur Last gelegten Verbrechen – Beihilfe zu Sprengstoffattentaten und Deckung von Terroristen – nicht den Prozeß machen durfte.

Seither sammelt er nach Polizeierkenntnissen erneut umstürzlerische Gruppen um sich und werkelt weiter an seinem alten „Plan der demokratischen Erneuerung“, nach dem Italien in eine autoritäre Präsidentialrepublik umgewandelt werden soll. Ende 1993 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft Wertpapiervermögen von umgerechnet 16 Millionen Mark, die Gelli an verschiedenen Stellen deponiert hatte und die möglicherweise zur Realisierung dieser Absichten verwendet werden sollten. Auch andere ehemalige P 2-Brüder machen wieder von sich reden: Der Journalist Luigi Bisignano etwa, P 2-Mitgliedsnummer 203, hat umgerechnet 100 Millionen Mark Bestechungsgelder des Ferruzzi-Konzerns für Parteien gewaschen – und zwar über das päpstliche Bankinstitut IOR. Das hat Tradition, und hier kommen angestammte Beziehungen zur Mafia in Erinnerung.

Schon in den sechziger Jahren knüpfte der Bankier Michele Sindona Verbindungen zwischen Logen, Mafia und Vatikan. Er brachte die von der Mafia „verdienten“, riesigen Geldmengen in seinen Kreditanstalten in Italien, der Schweiz, den USA und Deutschland unter (etwa der Wolff-Bank in Hamburg). Dabei bediente er sich der Deckung durch das vatikanische Geldinstitut IOR.

1970 vermittelte Sindona zwischen putschwütigen Mitgliedern der Geheimdienste – fast alle später als Mitglieder der „Propaganda 2“ ausgewiesen – und der Mafia wegen eines geplanten Umsturzes. Als sein Imperium Mitte der siebziger Jahre pleite ging, schickte Vatikanbank-Chef Paul Marcinkus zwei leibhaftige Erzbischöfe in die USA, um für Sindona zu bürgen – einer davon, Erzbischof Caprio, steht seit den achtziger Jahren als „Kardinal-Großmeister“ an der Spitze des „Ordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem“.

Nach Sindonas Sturz übernahm sofort das „Propaganda 2“-Mitglied Roberto Calvi der Mailänder Banco Ambrosiano – ebenfalls eng mit dem IOR verbunden – die angestammten Beziehungen. Calvi wurde 1982 unter der „Brücke der Schwarzen Brüder“ in London erhängt aufgefunden. Es gibt überzeugende Belege, daß ihn ein Mafiakiller wegen Verfehlungen einigen Clans gegenüber dorthin gehängt hat. Doch so eng wie derzeit waren die Verbindungen zwischen Mafia und Logen noch nie: Die immer häufigere Beschlagnahme von Mafia-Besitz durch beherzte Staatsanwälte läßt die mit guten Beziehungen zur Hochfinanz ausgestatteten Logenbrüder zu begehrten Helfern werden, um Geld und Wertpapiere in Sicherheit zu bringen.

Derzeit sind nach Angaben des Mafia-Aussteigers Antonino Calderone nahezu alle Mitglieder des Leitorgans „Cupola“ Logenmitglieder. Ende 1993 wurden in Sizilien drei Dutzend Haftbefehle wegen Bildung einer mafiosen Vereinigung gegen „Brüder“ ausgestellt – fast die Hälfte davon Polizisten und Ermittlungsbeamte. Mindestens 27 der 113 sizilianischen Logen stehen unter der Kontrolle der Mafia.

Daß die Ermittler sich immer mehr in die gewundenen Wege geheimer Logen hineinarbeiten, hat die Unterwelt wohl auf die Idee gebracht, mit weniger verdächtigen Vereinigungen – die jedoch ebenfalls ausgezeichnete Verbindungen zur Finanz-Oberwelt haben – anzubandeln. Dazu gehört eben der „Orden vom Heiligen Grab zu Jerusalem“, bei dem es vor in- und ausländischen Bankiers gerade so wimmelt.

Die Ermittler haben jedenfalls, neben vielen unverdächtigen, auch diverse dubiose Persönlichkeiten im Orden festgestellt. So etwa den Grafen Cassina aus Palermo, jahrelang einer der „Oberritter“ der Insel: Er hat sich aufgrund mafioser Protektion als Bauunternehmer eine goldene Nase verdient und soll nach Aussteigerangaben den Polizeioffizier und Geheimdienstagenten Bruno Contrada in den Orden eingeführt und auch dem bis zu seiner Ermordung waltenden obersten Mafiaboß Stefano Bontade vorgestellt haben.

Contrada, seit Anfang 1993 in Haft, steht unter Verdacht, nicht nur Mafiabosse rechtzeitig vor Verhaftung gewarnt, sondern auch mehrere Polizeikollegen Killern ausgeliefert zu haben. Niemals dementiert wurden auch Behauptungen des englischen Kriminalrechercheurs David Yallop (Im Namen Gottes“), wonach „P 2“-Chef Gelli – obwohl kein Katholik – heimlich in den Orden aufgenommen worden sei.

Das Ungewitter, das sich über dem Orden zusammenbraut, könnte sich in den nächsten Monaten durchaus weiter ausbreiten – in die Schweiz zum Beispiel oder nach Deutschland. Zum „Heiligen Grab zu Jerusalem“ gehörten nämlich nicht nur ultrareaktionäre Politiker wie der verblichene bayerische Nachkriegs-Kultusminister Aloys Hundhammer; auch der – noch recht lebendige – ehemalige Chef der Deutschen Bank und Finanzberater Adenauers, Josef Hermann Abs, ist „Ritter“, ebenso wie allerlei Edelleute (etwa aus dem Hause Henkell-Donnersmark) und Angehörige des Presseamtes von Kanzler Helmut Kohl.

Vor allem aber sind Topbankiers mit von der Partie, wie etwa der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Geiger, und mitunter die gesamte Führungsspitze großer deutscher Geldinstitute, zum Beispiel der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, angefangen bei deren Chef Bernhard Martini.

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