„Mexiko aus dem Tiefschlaf gerettet“

■ Massenkundgebung in der Hauptstadt

Mexiko-Stadt (taz) – Mittwoch, 17 Uhr Ortszeit, auf dem weitläufigen Platz der Verfassung im Herzen der mexikanischen Hauptstadt. Zwischen Stadtkathedrale und Regierungspalast füllt sich die Plaza mit Menschen. „Stoppt das Massaker in Chiapas“ steht auf dem Transparent, das der indianische Block an der Spitze des Zuges trägt. Sanftes Abendlicht legt sich über die Menge. An die 100.000 Menschen, schätzen Beobachter, demonstrieren hier.

Politische Parteien sind bewußt auf die hinteren Plätze verbannt. Es solle keine Wahlkampfveranstaltung werden, so die Kundgebungsmoderatorin und Theaterfrau Jesusa Rodriguez – auch wenn die starke Präsenz der linken PRD-Opposition samt ihres Führers Cuauhtémoc Cárdenas kaum zu übersehen ist. „Die mexikanischen Indianer“, so Jesusa Rodriguez, „haben uns eine echte humane Lektion erteilt. Sie haben dieses Land aus dem Tiefschlaf gerettet“. In Anspielung auf die im August anstehenden Präsidentschaftswahlen meint sie zuversichtlich: „Dieses Jahr wird es wieder Demokratie geben in Mexiko.“

Gegen Ende der Kundgebung: Eine Gedenkminute „für die in Chiapas Gestorbenen“. Als zum Schluß die eben noch Verstummten ihre über hundert Jahre alte Nationalhymne anstimmen – „Mexikaner, dem Ruf des Krieges gefolgt, das Schwert und Schild bereitgehalten ...“, meint eine neben mir stehende Dame in den Fünfzigern ergriffen: Nie ist diese Hymne so aktuell gewesen wie heute.

Der Name des frischgekürten „Friedensemissärs“ der Regierung, Camacho Solis, fiel kein einziges Mal auf dieser Kundgebung. Er machte dennoch am dritten Tag der Friedensmission seinem Ruf als origineller Geist alle Ehre. Kaum war er am Mittwoch morgen in San Cristóbal eingetroffen, traf er sich zum gemeinsamen Gespräch mit dem zuständigen Armeevertreter, Bischof Samuel Ruiz und dem Gemeinderatspräsidenten. Dann verlas er vor der Presse eine Friedensbotschaft in der Lokalsprache Tzeltal und räumte ein, daß die Befriedung der Region „noch eine Weile dauern“ werde. Für „die nächsten Tage“ erwarte er die Reaktion der Guerilla auf die von Staatspräsident Salinas verkündete Feuerpause. Die bedeute aber keinen Truppenabzug, erläuterte er. Der Waffenstillstand wurde von den Streitkräften an diesem Tag offensichtlich eingehalten. Anne Huffschmid