Stadtfinanzen kurz vor dem Kollaps

■ Finanzdesaster: Ursachen sind hausgemacht / Voscherau kaufte sich Wohlwollen    Von F. Marten

Die Löcher in der Stadtkasse werden 1994 und 1995 nach Informationen der taz weit größer ausfallen, als es die schlimmsten Pessimisten in der Finanzbehörde erwartet haben. Ein Insider zur taz: „Wir sitzen jetzt ganz tief in der Scheiße.“ Es zeichne sich ab, daß die realen Finanzlöcher für 1994 und 1995 um mehrere hundert Millionen Mark höher ausfallen werden als bislang bekannt. Schon jetzt scheint sicher, daß die in den Boom-Town-Jahren angesammelte Haushaltsrücklage Mitte des Jahres aufgebraucht sein wird.

Wenn sich zudem, wie wahrscheinlich, die Rezession fortsetzt und, wie ebenfalls sehr wahrscheinlich, die Stadt für Bürgschaften und Folgekosten eines Konkurses der Hamburger Stahlwerke (weit mehr als 200 Millionen Mark) aufkommen muß, könnte sich ein zusätzlicher „Handlungsbedarf“ von bis zu einer Milliarde Mark in den kommenden beiden Jahren auftürmen. Der Finanzcrash, bislang von den stadtstaatlichen Finanzjongleuren erst für das Jahr 1995 programmiert, wird Hamburg damit schon im Sommer 1994 ereilen. Das Finanzloch im Jahr 1995 gar dürfte auf über zwei Milliarden Mark klettern. Noch im September hatte die Stadt hier mit 750 Millionen Mark Miesen gerechnet. „Mit konventionellen Sparprogrammen“, so ein Mitglied des Haushaltsausschusses, „ist da garnichts mehr zu machen“.

Nur wenn es, unwahrscheinlich genug, gelingt, die Behörden zu einem grundsätzlich anderen Ausgabenverhalten zu bewegen, ist das absolute Finanzchaos zu vermeiden. In jedem Fall aber drohen drastische Erhöhungen von Steuern und Gebühren und die Streichung staatlicher Leistungen in einem bislang kaum vorstellbaren Ausmaß. Sogar eine von der Statt-Partei bislang kategorisch ablehnte Kreditaufnahme für laufende Betriebsausgaben (im Normalfall dürfen nur die Investitionen per Kredit bezahlt werden) dürfte dann unausweichlich sein.

In der Umgebung Voscheraus und in Teilen der Statt-Partei werden jedoch ganz andere Notoperationen vorbereitet. Privatisierung in einem gigantischen Ausmaß wird angedacht. Die HEW, die Landesbank und der Hafengroßbetrieb HHLA sollen geopfert werden. Das Kalkül: So könnten die Privatisierungswünsche der Statt-Wirtschaftslobby befriedigt und allzu schmerzhafte Einschnitte für die SPD-Klientel vermieden werden.

Finanzexperten zeigen sich darüber entsetzt. Sie warnen vor einer Fortsetzung jener Politik, die Voscherau seit seinem Amtsantritt im Sommer 1988 betrieb. Waren die Stadtausgaben 1988 nur um ein Prozent geklettert, so legten sie 1989 bereits um 3,5 zu. 1991 und 1992 gab es kein Halten mehr: Durch ständige Nachbewilligungen explodierten die Stadtausgaben um jährlich jeweils fast 10 Prozent. Auch 1993, im Angesicht der Rezession, ging es mit einem Plus von sieben Prozent fröhlich weiter. Voscherau zeigte sich spendabel, wann immer ein Genosse anklopfte. Der dieser Tage wg. des Stahlwerkefilzes vielgescholtene SPD-Haushaltsspezi Gerd Weiland überwarf sich mit Voscherau wegen dessen Ausgabegebahrens. Notwendige Strukturreformen und Einschnitte, in den Jahren 1989 bis 1992 leicht zu bewerkstelligen, wurden, so schimpft auch der Landesrechnungshof, nicht angegangen. „Hamburg“, so resümiert ein Fachmann, „hat seine einmalig guten Chancen einer Haushaltskonsolidierung in den Jahren 1989 bis 1992 fahrlässig verspielt.“