Sucht im Knast: tägliche Not, den Druck zu besorgen

■ Hunderte der Hamburger Inhaftierten sind drogenabhängig, Hilfe ist minimal

Die unzureichenden Hilfen für Süchtige in Hamburgs Strafvollzug sind für die Insassen eine der Hauptursache der zunehmenden Brutalisierung in Santa Fu. Seit Jahren nimmt der Anteil an Abhängigen im geschlossenen Vollzug dramatisch zu, doch Hilfsmaßnahmen, die zur Entspannung der aufgeheizten Situation beitragen würden, kommen garnicht oder nur schleppend in Gang.

Durch den Mord an Dieter J. – der nach Ansicht von Mitgefangenen im Zusammenhang mit Drogenschulden steht – sind die menschenunwürdigen Zustände in Santa Fu jetzt wieder Thema. „Die Situation ist aber schon seit Jahren zugespitzt“, berichtete gestern ein Insasse der taz. Es braucht nur wenig Phantasie, sich die Dynamik in der überbelegten Haftanstalt, in der hunderte von Abhängigen untergebracht sind, vorzustellen. „Die Leute brauchen ihren Druck“, so der Gefangene, „und wer keine Angehörigen hat, die das Zeug reinschmuggeln, muß sehen, wie er das Geld anders auftreibt.“

Die Preise für Heroin liegen bei mindestens 200 Mark pro Gramm – bei einer Verdienstmöglichkeit von rund 110 Mark im Monat leicht vorstellbar, in welch finanzielle Notsituation ein Süchtiger kommt, der mehrere Gramm täglich braucht. „Du kannst für andere die Zelle putzen, dich prostituieren, 'ne Zelle aufbrechen, oder eben jemand den Kopf einschlagen“, so ein Sprecher der Insassenvertretung. Entspannung könne es nur durch ein breitangelegtes Methadonprogramm geben.

Doch daran hapert es immer noch. Obwohl der Senat 1990 die Substitutionsbehandlung im Strafvollzug ankündigte, ist sie nach wie vor eine Ausnahme. Und der Zugang schwer: Ohne eine jahrelange Drogenkarriere und eine HIV-Infektion bekommt niemand den begehrten Ersatzstoff. Sieben von den etwa 300 Junkies erhalten ihn nach Auskunft eines Insassen derzeit in Anstalt II. Das in Wasser aufgelöste Medikament sei so begehrt, daß manche die ausgespuckten Reste weiterverkaufen.

Auch die Weigerung der Justizbehörde, sterile Spritzen auszugeben, wird von den Gefangenen harsch kritisiert. Die Risiko einer HIV- oder Gelbsucht-Infektion durch die gemeinsame Benutzung verschmutzter Spritzen ist hoch. Und Abhilfe durch die Behörde (siehe Interview) nicht in Sicht.

Daß alle Hamburger Strafanstalten - vom Jugend- bis zum offenen Vollzug - mit einem immensen Drogenproblem zu kämpfen haben, gab der Senat bereits 1990 im Landesprogramm Drogen zu. Schon 1989 galten von 609 Männern in Untersuchunghaft 564 als Entzugsfälle. Drogenfreie Wohngruppen gibt es im Hamburger Strafvollzug bislang allerdings nur drei, mit 55 Plätzen. Geplant sind zwei weitere. Ein Insasse: „Da wird das Zeug aber auch gehandelt.“ S. Koch