Geteilte Gelder, gemischte Gefühle

Viel Geld für noch mehr Freie Theater macht für manche ein bißchen – Der Senat hat nach Vorschlägen des Beirats für Freie Gruppen der Darstellenden Kunst die Mittel für 1994 verteilt. Ein Übersichtsbericht.  ■ Von Petra Kohse

Wovon sind die Freien Theatergruppen eigentlich befreit? Von Institutionen, Produktionszwängen, Publikumsgeschmack, vom Rechtfertigungsdruck? Doch eigentlich nicht. Die Verhältnisse an einer staatlichen oder halbstaatlichen Bühne sind – maßstabsgerecht verkleinert – auf eine sogenannte Freie Bühne durchaus übertragbar. Auch hinsichtlich der Ästhetik und der Themenwahl sind die Freien nicht freier als die Renommierten. Einziger struktureller Unterschied zu den etablierten Theatern ist die mangelhafte Finanzierung, woraus resultiert, daß die sogenannten freien Theatermacher nur in den seltensten Fällen haupterwerblich als solche tätig sind.

Ganz frei von öffentlichem Geld sind Freie Theater aber auch wieder nicht. Denn daß ihre Dichte in Berlin enorm ist (an mindestens 60 Stellen wird gespielt), läßt sich die Stadt einiges kosten: 9.047.490 Mark werden in diesem Jahr an Fördermitteln ausgegeben. Bei einem Gesamtkulturetat von 1,172 Milliarden Mark macht das etwa 0,8 Prozent aus. Zum Vergleich: Hamburg gibt etwa 0,2 Prozent seines Etats für den gleichen Zweck aus (das entspricht 700.000 Mark), München hingegen mehr als ein Prozent (drei Millionen Mark). Diese Zahlen sprechen gegen Hamburg, für München, und über Berlin kann man nicht meckern.

59 von 231 kommen ans Töpfchen

Daß diese Summe bei uns unter zahlreichen Bedürftigen aufgeteilt werden muß, nicht jeder etwas davon abbekommt und auch die Glücklicheren oft nicht soviel erhalten, wie sie meinen, als Minimum zu brauchen, ist eine andere Sache. Um hier Mißlichkeiten auszuloten, müßten qualitative Maßstäbe angelegt werden. Darauf soll jetzt einmal verzichtet werden. Bleiben wir bei den Fakten: 231 Gruppen haben um das Geld gerangelt, mittlerweile wurde es verteilt – an 59 von ihnen. Es gibt Projektförderungen, Optionsförderungen (die im Idealfall für einen Zeitraum von drei Jahren alljährlich bezahlt werden) und Spielstättenförderungen.

Fall 1: Projektförderung. Beträge zwischen 10.000 und 220.000 Mark wurden sechs Musiktheatergruppen, zehn Tanztheatern, 13 Kinder- und Jugendtheatern sowie 16 Sprechtheatern gewährt. 37 Gruppen West, acht Gruppen Ost. College of Hearts beispielsweise erhält 100.000 Mark für „Piraten“ (beantragt waren 140.000), das Freie Schauspiel bekommt ebensoviel für vier Produktionen (beantragt waren insgesamt 188.000). Die Medea-Company berechnete ihre „Mythen des Alltags“ nach Roland Barthes mit 128.500 Mark – knapp die Hälfte (60.000 Mark) wurde bewilligt. Der erste Teil ist mittlerweile als Koproduktion im Weiten Theater aufgeführt worden. Nur die wenigsten Gruppen erhielten annähernd soviel, wie sie beantragten.

Fall 2: Optionsförderungen. In ihren Genuß kommen die Berliner Kammeroper, Hans Wurst Nachfahren, Neuköllner Oper, Tanztheater Skoronel, Tanzfabrik, Teatr Kreatur, theater 89, Theater zum westlichen Stadthirschen und Zan Pollo Theater – Beträge zwischen 320.800 und 600.000 Mark. Die bewilligten Summen entsprechen alle den Zahlungen des Vorjahres, obwohl in manchen Fällen fast das Doppelte beantragt wurde. Läßt sich damit auskommen? Irgendwie schon.

Zum Beispiel das theater 89. Statt 418.100 Mark bekommen sie – wie im letzten Jahr – 270.000 Mark. Obwohl die Kalkulation realistisch gewesen sei, ist Organisator Lutz Längert nicht enttäuscht: „Es ist eine Illusion, das zu bekommen, was man beantragt hat.“ Statt sechs Produktionen wie 1993 will man in diesem Jahr nur drei Premieren herausbringen. „Ich bin überzeugt, daß die Kommission tut, was sie kann“, sagt der künstlerische Leiter Hans-Joachim Frank, und es klingt überzeugt. Nicht alle sind so zufrieden und sehen ihre Situation als „freie“ Theatermacher aus Überzeugung und mit Nebenjobs trotz umfänglichen Repertoirebetriebs so stark im gesellschaftlichen Kontext wie Frank: „Das Theater als finanzielles Problem sollte angesichts der sozialen Situation im Land an letzter Stelle bedacht werden.“ Nicht alle residieren aber auch in einem mietfreien Raum wie das theater 89 in der Wilhelm-Pieck-Straße.

Doppelte Berück- sichtigung möglich

Kommen wir zur dritten Gruppe, den Spielstättengeförderten. Summen zwischen 20.000 und 1.250.000 Mark wurden vergeben. Hier tauchen wieder die bereits Optionsgeförderten, die Neuköllner Oper und Hans Wurst Nachfahren auf, außerdem das Moderne Theater, Stükke, Theater am Ufer, das Theater Zerbrochene Fenster und der finanzielle Spitzenreiter Theater am Halleschen Ufer. Zu ihrer Projektförderung erhalten das Fliegende Theater (50.000 Mark) aus diesem Topf noch 30.000 Mark, das Freie Schauspiel (100.000) noch 40.000. Beantragt hatte Rudolf Schmid vom Fliegenden Theater fast das Vierfache. Er ist schwer enttäuscht und sieht sich gezwungen, noch von anderen Stellen Geld aufzutreiben. Die geplanten beiden Produktionen (ein Kinderstück und eine Abendinszenierung) seien mit diesem Geld nicht zu machen, sagt er. Eine organisatorische Stelle müsse dringend eingerichtet werden, monatlich fallen 5.000 Mark Miete an, Werbekosten, Betriebskosten etc. Freies Theater? Die Behördengänge gehen hier weiter.

Ähnlich sieht die Lage Elke Latusek vom Freien Schauspiel, obwohl dieses Haus insgesamt ja nicht schlecht bedient ist. An der Werbung muß gespart werden, was existenzbedrohende Folgen haben kann. Auch können statt der geplanten vier nur drei Projekte verwirklicht werden. Die Minigagen ließen sich ja noch weiter kürzen, aber 3.300 Mark Miete und die Technik wollen bezahlt werden.

An letzter Stelle der Spielstättengeförderten steht das Ratibor Theater. Ganze 20.000 Mark sollen sie laut Liste bekommen. Was soll man denn damit machen, fragt sich Dietmar Miehlke zu Recht. Nicht, daß er nicht erfreut sei, überhaupt etwas zu bekommen, aber immerhin hat er im letzten Halbjahr 1993 30.000 Mark erhalten und dementsprechend für 1994 60.000 Mark beantragt. Auf Projektgelder hat er in diesem Jahr erst gar nicht gehofft, da die letzte Eigenproduktion „Kannibale und Liebe“ ein totaler Flop gewesen ist. Das schöne kleine Theater in der Cuvrystraße setzt vor allem auf seine Funktion als Spielstätte für andere. Zwei Schwerpunkte gibt es: Die „Bühnenfrauen“-Reihe, die in diesem Winter zum zweiten Mal erfolgreich stattfindet und Gastspiele osteuropäischer Exil-Theatermacher. „20.000 Mark reichen gerade aus, um nicht zu sterben“, sagt Miehlke, was ich optimistisch finde, da die Miete jährlich immerhin 24.000 Mark beträgt. Zusätzlich müssen 1,5 Stellen und zwei Techniker bezahlt werden.

Zuweilen schmerzlich vermißt: der Beirat

Dietmar Miehlke fragt sich vor allem, „wie es möglich ist, daß der Beirat über ein Konzept entscheidet, ohne einigermaßen regelmäßig jemanden zu den Aufführungen zu schicken.“ Obwohl immer Einladungen verschickt würden, sei oft gar niemand dagewesen, berichtet er. Berechtigte Kritik, aber wohl eher der Einzelfall. Vielleicht verschwinden die Beiratsmitglieder ja wie in einem schwarzen Loch in der Probebühne der Schaubühne, wenn sie in die Cuvrystraße einbiegen – andere Theater beklagen das Ausbleiben des Gremiums nicht. Mittlerweile hat sich auch herausgestellt, daß die 20.000 Mark für das Ratibor lediglich für ein halbes Jahr gedacht sind, im Sommer wird dann über einen Nachschlag entschieden. Das ist erfreulich, solche unvermerkten Ausnahmeregelungen irritieren jedoch deutlich die Schlüssigkeit der Förderungsliste.

Die Durchsicht der Listen führt nicht zu Überraschungen. Es fehlt keine Schauspielgruppe, von der man dachte, daß die doch nun aber endlich mal ... Und es ist kein Posten dabei, der einen entsetzt fragen läßt: Was? Die so viel??? Viele bekommen ein bißchen. Keiner kann sich wohl hauptsächlich auf Senatsgelder verlassen, abgesehen vielleicht vom Theater am Halleschen Ufer, das mit 1,25 Millionen sicher anständig wirtschaften kann.

Den anderen bleibt die Hoffnung auf maximale Auslastung der Vorstellungen – und als einzige Freiheit die der Sponsorenwahl.