Sollen Rosen leuchten und die Liebe blühn ...

■ Auf dem VIII. Parteitag der SED wurde die „Lösung der Wohnungsfrage“ beschlossen / In dem ehemaligen „Ort am Sumpf“ leben heute 165.000 Menschen

Im Mai 1971 beschloß die SED auf ihrem VIII. Parteitag, „auf der Grundlage der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen“. Dann ging es Knall auf Fall: die erste Baugrube wurde im April 1977 ausgehoben, ein halbes Jahr später die Richtkrone auf das erste Haus gesetzt. Nach nur 109 realsozialistischen Bautagen wurde der Wohnblock 001 in der Marchwitzastraße fertiggestellt. Daran erinnern eine Gedenktafel am Hauseingang und eine Richtfeststele: „...Hunderttausend Menschen ziehen bald hier ein, und so soll ihr Leben schmuck und sicher sein ... Sollen Rosen leuchten, kleine Wälder, grün, sollen Kinder spielen, soll die Liebe blühn ...“.

Wie die meisten Mieter der Marchwitzastraße 43 war auch der heute 74jährige Herbert Stoehr Mitglied der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft des VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik. Händeringend wurden Mieter für das vorfristig fertiggestellte Haus gesucht, die die Mondlandschaft in Kauf nahmen. „Aber jetzt“, so Irmgard Stoehr, „jetzt ist es schön hier.“ Und ihr Mann: „Hier werden wir sterben.“

Beseelt vom Gedanken eines gigantischen Wohnungsprojektes, wurde im Sommer 1978, vis-à-vis der Stoehrs, die tausendste Wohnung fertiggestellt. In die zugleich millionste Wohnung seit dem VIII. Parteitag zog eine Arbeiterfamilie ein, die aus den Händen Erich Honeckers den Schlüssel erhielt. Am 5. Januar 1979 beschloß die Stadtverordnetenversammlung aus Teilen der Stadtbezirke Lichtenberg und Weißensee einen neuen Bezirk zu bilden: Marzahn, aus dem Ortsteil Marzahn im Norden und Biesdorf im Süden.

Nicht auf Bauschlamm sondern auf sumpfigen Boden ist der Name Marzahn zurückzuführen. Das mittelalterliche Angerdorf wurde erstmals 1300 in einer Urkunde als „Morczane“ erwähnt. Der Name ist slawischen Ursprungs, und „Marcana“ heißt so viel wie „Ort an einem Sumpf“.

Es dauerte noch Jahre, bis die Schlammwege und offenen Gräben um die Wohnblöcke verschwunden und eine Infrastruktur entstanden war. Aber immer, wenn sich hoher Besuch ankündigte, wurde ein Zahn zugelegt. Als der Kosmonaut Sigmund Jähn und sein sowjetischer Kommandant Waleri Bykowski 1978 zu einer Baum-Pflanz-Aktion kamen, erhielt eine Malerbrigade – „angespornt von den kosmischen Taten“ der Astronauten – den Namen Bykowski, und die Straße mit den Bäumen den Namen Allee der Kosmonauten.

Innerhalb von zwei Jahren, von 1979 bis Ende 1981, hatte sich die Einwohnerzahl auf 56.000 verdoppelt. Mehr als 20 Millionen Stunden waren im „Mach-mit-Wettbewerb“ geleistet, Klubgaststätten, Tankstellen, Polikliniken und Kaufhallen „ihrer Bestimmung übergeben“ worden, das Kino „Sojus“ – nach wie vor das einzige im Bezirk – eröffnet, und Straßenbahnlinien verbanden Marzahn mit dem Zentrum. Im Sommer 1988 war der Wohnungsbau im wesentlichen abgeschlossen, 175.000 Menschen lebten in Marzahn.

Überraschenderweise hielt sich der Wegzug aus der Betonwüste in Grenzen. Von den 165.000 MarzahnerInnen haben fünfzig Prozent einen Fach- und Hochschulabschluß und mehr als neunzig Prozent eine Berufsausbildung. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei sechs Prozent.

In den ersten zehn Jahren des Bestehens des Bezirks suchten zahlreiche prominente Politiker die Nähe zum Marzahner Beton. Sowohl Willy Brandt als auch Michail Gorbatschow machten ihre Aufwartung. Der Besuch des Oberbürgermeisters von Peking, Chen Xitong, in der rekonstruierten Gaststätte „Marzahner Krug“ auf dem Dorfanger hinterließ bis heute sichtbare Spuren: der „Marzahner Krug“ heißt jetzt „New China Town“. Barbara Bollwahn