Metropolensimulanten

Der Berliner Senat will das Haus der Kulturen der Welt nicht länger finanziell unterstützen. In einem bedenklichen kulturpolitischen Manöver riskiert er seinen Ruf – und die Institution  ■ Barbara Häusler

In Berlin gibt man sich ja gerne großstädtisch. Die fortgesetzt tönende Selbstbeschwörung als definitive deutsche Metropole in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft läßt allerdings gerade jene Distinktion vermissen, die wahre Bedeutsamkeit bekanntlich ausmacht. Diese Distinktion basiert nämlich auf gelassener Selbstverständlichkeit und interesselosem Wohlgefallen – oder zumindest deren Vorspiegelung. Derlei ist des Berliners Sache nicht, wo es doch reicht, wenn das internationale Renommee nur laut genug behauptet wird. Und wenn sich die Türken und Vietnamesen hier aus guten Gründen nicht mehr wohlfühlen; und wenn sich das Olympische Komitee milde lächelnd abwendet; und wenn so ein japanischer Investor hier nicht Fuß fassen will: dann ist das keinesfalls die Schuld der Berliner. Und erst recht nicht ihrer Politiker.

Das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) in der Kongreßhalle befindet sich seit seiner Eröffnung in dieser Schere aus selbstbezüglichen Lobeshymnen kulturpolitischer Sonntagsredner und dem wohlgefälligen Desinteresse, das diese sofort befällt, wenn es um konkrete, und das heißt auch: finanzielle, Unterstützung geht. Das mußte das HKW schon einmal erfahren, als nämlich der deutsche Bundestag, der fürderhin in schöner Fußläufigkeit zur Kongreßhalle im Reichstag residieren wird, für seine Besucherdienste Begehrlichkeiten auf die Immobilie anmeldete (siehe taz vom 5.10. 1992). Inzwischen hat man sich auf eine Raumteilung geeinigt, doch jetzt droht, wie Generalsekretärin Anke Wiegand- Kanzaki am Donnerstag in einem Preesegespräch sorgenvoll erläuterte, Schlimmeres. Das Land Berlin will sich – und seine Gelder, versteht sich – aus dem Gesellschaftervertrag des HKW zurückziehen. Ausgekungelt wurde dieser Vorschlag auf einer Klausurtagung des Senats am 22. Juni letzten Jahres, und er wird – obwohl von Kultursenator Roloff-Momin und seiner Behörde dereinst beflissen dementiert – am kommenden Montag verhandelt. Und womöglich beschlossen. In den Berliner Wirtschaftsplan 1995/96 jedenfalls wurden die Bedarfszahlen des HKW schon mal vorsorglich gar nicht mehr aufgenommen, und wenn sich bis zu den Haushaltsverhandlungen des Bundes im Frühjahr keine Lösung findet, hängt das HKW ab Januar 1995 völlig in der Luft.

Das Auswärtige Amt (AA), Gründerin der Institution, übernimmt mit derzeit 2,8 (statt zugesagter 4,1) Millionen DM reiner Projektmittel 30 Prozent der Kosten der GmbH. Das Land Berlin, Eigentümerin der Kongreßhalle, trägt mit 5,5 Millionen DM die Kosten für die technische Unterhaltung des Gebäudes und die Personalkosten des HKW. Die will man komplett loswerden. Das HKW könnte das Haus zwar weiter mietfrei nutzen, müßte für alles andere aber alleine aufkommen. Man wolle, war aus dem Hause Roloff- Momin vorgestern zu vernehmen, nun keinesfalls die Schließung der Institution. Politischer Wille sei allerdings die Übergabe der Finanzierung an Bonn.

Soviel politischer Wille! Oder haben wir es bis hierher erst mit seinem kleinen Bruder, dem Sparwillen zu tun? Der ist ja niemandem zu verübeln, macht den Vorschlag aber zu einem kulturpolitisch höchst riskanten Manöver. Denn wer ist Bonn, wem will man die Pistole eigentlich auf die Brust setzen? Das AA, mit seinen Goethe-Instituten selbst im Spartaumel, wird das Loch kaum stopfen können. Außerdem, befürchtet man im HKW, würde ein Kulturprogramm unter AA-Regie zur reinen Außenpolitik. Auf den Hauptstadtvertrag zu warten, der die Kostenübernahme für (inter)national wichtige Kultureinrichtungen durch den Bund regelt, wäre tödlich. Zwar gehört das HKW – schaut man sich die Bonner Vertragsversion an – eindeutig hinein. Auf wen sonst träfe die Funktionsbeschreibung „Durchführung von Sonderaufgaben im Zusammenhang mit den Auslandsbeziehungen des Bundes“ besser zu? Der Hauptstadtvertrag für Berlin wird aber voraussichtlich erst 1999 in Kraft treten, und die Übergangsregelung ab 1996 kommt für das HKW zu spät.

Auch die berühmten Drittmittel aus Eurotöpfen, von Sponsoren oder der Unesco werden angesichts der reichen Bundesrepublik sicher nicht für die Übernahme von Strom- und Heizungskosten fließen. In der Zwischenzeit wurde das HKW, quasi im Sonderangebot, sogar den Ländern angedient. Wer es bezahlen kann, kriegt also den Zuschlag? Dann hätte Berlin die längste Zeit eine mit 260.000 Besuchern im letzten Jahr ungeheuer erfolgreiche, ihre Veranstaltungsausgaben zu fast 100 Prozent wieder einspielende und für ihr vielzitiertes internationales Renommee bedeutendste Kultureinrichtung gehabt. Wo ist die Lobby? Politischer Wille hieße, das HKW auch wegen seiner kommunalen Funktion um jeden Preis halten zu wollen.

Und soo hoch ist der, angesichts eines 30-Millionen-Etats für Kohls Deutsches Historisches Museum, auch wieder nicht. Nach Auskunft des HKW – das mit unverbesserlicher Loyalität und stiller Einsicht in Sparerfordernisse erst kurz vor zwölf mit der Unheilsbotschaft an die Öffentlichkeit ging – geht es um einen Sockelbetrag von 10 Millionen DM, den sich der Bund und Berlin so aufteilen müßten, daß die Senatskassen entlastet würden. Verhandelt wird ja. Nur, auf welcher Ebene? Die Sonntagsredner Diepgen und Kinkel, die in der gerade erschienenen Broschüre anläßlich seines fünfjährigen Bestehens dem HKW einmal wieder seine außerordentliche Wichtigkeit und Qualität bescheinigt haben, sitzen jedenfalls noch nicht an einem Tisch. Vielmehr muß man sich Herrn Roloff-Momin im Spagat seiner Doppelfunktion als sparverpflichteter Senator einerseits und Aufsichtsratsvorsitzender des HKW andererseits vorstellen. Womöglich im Selbstgespräch – der Mann kann einem irgendwie leidtun.

Im HKW hat man die ewigen Gratis-Komplimente verständlicherweise ebenso satt wie das hinfällige Metropolen-Gerede. Wo ein Vorschlag des Bausenators Nagel zur Entschärfung der Wohnungsmisere auf Widerstände einer emotional tradierten Gemengelage stößt und sich die miefige Argumentation einer Schrebergarten-Mentalität in die Sphäre der Machtpolitik ausdehnen kann, wird deutlich, daß hier nur Großstadt gespielt wird. Anke Wiegand-Kanzaki bescheinigt den Deutschen und der Stadt jedenfalls zu Recht ein ramponiertes Image und Zurückgebliebenheit im Umgang mit dem/n Fremden. Die alte Metropole ist tot, um sie wiederzubeleben bedarf es, außer guten, eben auch politischen Willens. Das HKW will seinen Standort in Berlin behalten, denn es hat, so Anke Wiegand-Kanzaki, eine symbolische Bedeutung für die proklamierte Weltoffenheit der Stadt und für das ersehnte Renommee im europäischen Metropolenvergleich. Berlin ist mit 360.000 Ausländern und Migranten ein wichtiges Testfeld für die Veranstaltungen des Hauses, von denen viele in der Zwischenzeit auch in die alten und neuen Bundesländer oder – wie die Ausstellung „China Avantgarde“ – ins europäische Ausland weitervermittelt werden. Nach ihrer Ansicht und der ihrer Mitarbeiter braucht Berlin – gerade auch im Hinblick auf ausländische Investoren – einen „Internationalisierungsschub“ und ganz allgemein etwas mehr „interkulturelle Kompetenz“ für Europa und die Welt. Das HKW bietet beides.