Gen-Banken – die Natur lagert im Kühlhaus

■ Seit 60 Jahren wird in Kühlhäusern dem Schwund von Genen Einhalt geboten

Tausende von Gemüsesorten, Hülsenfrüchten, Getreiden und Arzneipflanzen finden sich inzwischen nicht mehr naturgemäß auf Feldern und Weiden, sondern gut gekühlt hinter Schloß und Riegel: In Samen- und Gen-Banken werden sie gesammelt, kühl gelagert und so am Leben erhalten. Bereits in den 30er Jahren wurden die ersten dieser Banken eingerichtet. Auch wenn sie wichtige Arbeit leisten, sind sie bis heute umstritten.

Denn die „Gen-Erosion“, wie Fachleute den Verlust von Pflanzen samt ihrer genetisch fixierten Eigenschaften nennen, läßt nicht nur die wildlebende Flora beispielsweise der tropischen Regenwälder verschwinden. Auch die Vielfalt unserer Kulturpflanzen – seit eh und je Rohstofflieferanten für Nahrung, Kleidung, Behausung und Arzneien des Menschen – schrumpft zusehends. Rund um den Planeten haben moderne Hochleistungssorten auf Äckern und Feldern Einzug gehalten. Uniformität macht sich breit.

Zu den international renommiertesten der zum Artenerhalt eingerichteten Institute gehört die Gen-Bank am Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt. Das IPK vereint innerhalb einer Institution die verschiedensten Aufgaben der Kulturpflanzenforschung. Im Mittelpunkt steht eine umfangreiche Pflanzensammlung, die seit der Gründung des Instituts im Jahre 1943 auf 95.000 lebende Muster angewachsen ist. Darum herum ranken sich verschiedene Arbeitsfelder, die von der Grundlagenforschung bis hin zu der praktischen Pflanzenzüchtung reichen. Erhalten werden in Gatersleben Primitivsorten, traditionelle, sehr variable Landsorten, verwandte Wildarten, aber auch moderne, uniforme Zuchtsorten. Allein die Sammlung von Arznei- und Gewürzpflanzen dürfte mit ihren 30.000 Formen weltweit zu den größten gehören. An die 12.000 Pflanzenmuster gehen von Gatersleben jährlich an Gen-Banken und andere Interessenten in alle Welt. Etwa zehn Prozent der Bestände werden jedes Jahr ausgesät und reproduziert. Andere müssen auf Keimfähigkeit und Identität hin überprüft werden.

In der Abteilung „Taxonomie und Evolution“ in Gatersleben werden die Pflanzen aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen klassifiziert und systematisiert. In vielen anderen Gen-Banken fehlt eine derartige Abteilung – was zur Folge hat, daß das Material schlecht oder falsch charakterisiert wird, was eine Nutzung weniger effektiv macht.

Das ist auch ein entscheidender Kritikpunkt derer, die bezweifeln, daß Vielfalt sich in Gen-Banken tatsächlich erhalten läßt. Denn was nützen eingelagerte Samen, deren Herkunft und Eigenschaften, also Nutzungsmöglichkeiten, niemand kennt? Zudem sind viele Samenbanken technisch unzureichend ausgestattet – und das nicht nur in den Ländern der Dritten Welt. Ein Stromausfall kann verheerende Folgen haben, weil die Saaten ohne Kühlung schnell unbrauchbar werden.

Ein weiterer Punkt, der den Gen-Banken häufig entgegengehalten wird, ist, daß über Jahre eingelagerte Pflanzen vom evolutionären Prozeß ausgeschlossen sind und sich nicht weiterentwickeln können. Aus diesen Gründen haben eine Reihe von Initiativen und engagierten Einzelpersonen begonnen, auf eigene Faust traditionelle Kulturpflanzen im Anbau zu erhalten.

Um eine Verständigung zwischen Kritikern und Verfechtern von Gen-Banken ging es auch bei einem europäischen Symposium, zu dem die Gen-Bank Gatersleben Ende 1993 nach Sachsen-Anhalt eingeladen hatte. Rund 50 WissenschaftlerInnen aus 16 europäischen Ländern informierten sich, welche Strategien die europäischen Staaten zur Bewahrung der Kulturpflanzenvielfalt verfolgen. Sie plädierten dafür, die Zusammenarbeit zwischen den Gen-Banken im Norden und im Süden wie auch zwischen Ost und West zu intensivieren sowie die staatliche wie die nichtstaatliche Erhaltungsarbeit stärker zu koordinieren. Vor allem aber soll das Thema endlich in die Öffentlichkeit getragen werden. Yvonne Mabille, Darmstadt