Vor dem Abgang der alten Polit-Klasse

Nach dem Rücktritt von Italiens Ministerpräsident Ciampi neue politische Konstellationen / Traditionelle Regierungsparteien werden bei Neuwahlen im Frühjahr kaum noch Einfluß haben  ■ Aus Rom Werner Raith

Das Ende der Vertrauensdebatte wartete Italiens Ministerpräsident Carlo Azeglio Ciampi zwar noch ab, die Abstimmung aber nicht mehr. Am Donnerstag Mittag ließ er die Sitzung unterbrechen, lief zu Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro und ließ danach den Präsidenten des Abgeordnetenhauses wissen, er habe um seine Entlassung nachgesucht. Staatspräsident Scalfaro hat damit die Hände frei für die Ausschreibung von Neuwahlen: Hätte Ciampi die Abstimmung abgewartet und gewonnen – weil neben ehrlichen Anhängern auch viele Politiker den Verlust von Diäten und Immunität fürchten müssen –, wäre die von einem Großteil des Volkes herbeigewünschte sofortige Auflösung der durch zahlreiche Korruptionsskandale erschütterten Volksvertretung weiter hinausgeschoben worden. So kann Scalfaro – vermutlich am Sonntag – den Wahltermin bestimmen; der müßte nach Verfassung in der zweiten Märzhälfte oder im April liegen.

Bei den Oppositionsfraktionen – von den Linksdemokraten über die Neokommunisten, die Grünen, die Republikanische Partei und die Neofaschisten bis zu den oberitalienischen Ligen – hat die Aussicht auf die von ihnen seit langem geforderten Neuwahlen Freude ausgelöst. Den bisherigen Regierungsparteien – Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Liberale – laufen beim Gedanken an einen baldigen Urnengang eher kalte Schauer über den Rücken. Die Christdemokraten stehen unmittelbar vor ihrem Parteikongreß, bei dem sich die Democrazia Cristiana (DC) formell auflösen und als „Volkspartei“ mit neuem Programm erstehen soll. Dabei stehen ihnen Zerreißproben der verschiedenen Flügel bevor und höchstwahrscheinlich gar die Abspaltung eines „Zentrums“.

Die Sozialisten sahen sich bereits durch die letzten Gemeinderatswahlen auf ein Drittel ihres bisherigen Wählerpotentials reduziert und sind ebenfalls gespalten, Sozialdemokraten und Liberale bringen zusammen keine zwei Prozent mehr zustande: böse Aussichten, zudem diesmal Senat und Abgeordnetenhaus zu 75 Prozent nach dem einfachen Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, in jedem Wahlkreis also nur ein Kandidat durchkommt. Zeit für angesehene, wählerwirksame Matadoren mit entsprechenden Mitteln für Medienarbeit – kleine Parteien bleiben da leicht außen vor.

Regierungschef Ciampi selbst hat mit seinen 74 Jahren „keine großen Ambitionen mehr, noch etwas zu werden“. Seine Abschiedsrede im Parlament war die stolze Präsentation einer nur acht Monate währenden Regierung, ihrer politischen, vor allem aber ihrer wirtschaftlichen Erfolge. Die Inflationsrate, Mitte der 80er Jahre noch zweistellig, liegt derzeit mit knapp vier Prozent unter dem europäischen Mittel, die Staatsschulden sind trotz gigantischer Zinszahlungen aus früheren Regierungszeiten nicht weiter gestiegen, die Außenhandelsbilanz ist positiv, die Lira auf zwar niedrigem, aber gerade darum für die Zukunft aussichtsreichem Niveau konsolidiert. Der Haushalt wurde, erstmals in den letzten zwei Jahrzehnten, rechtzeitig vor Jahresbeginn verabschiedet und sogar der im Frühjahr fällige Nachtragshaushalt weitgehend programmiert.

Die ökonomische Sanierung hat freilich auch gekostet – Arbeitsplätze vor allem, und so widersprechen einige oppositionelle Gruppen der Regierungsbilanz denn auch heftig – und stellen damit bereits die Weichen für den Wahlkampf: „Wir brauchen beileibe keine Professoren“, schreibt L'Indipendente, das Sprachrohr der oberitalienischen Ligen, „um den Steuerdruck, so wie diese Regierung, innerhalb eines Dreivierteljahres um fast 15 Prozent zu erhöhen, zumal diese Belastung am Ende nur die üblichen Normalverbraucher bezahlen“ – da ist er, der von Liga-Chef Umberto Bossi angekündigte Vorstoß „in die Klientel der Linksparteien, speziell in die der Ex-Kommunisten hinein“.

Mit populistischen Forderungen wollen die Ligen nicht nur in Oberitalien, wo sie eh schon die stärkste Partei sind, sondern landesweit Regierungspartei werden. Ihr Ziel: die Auflösung der zentralistisch gestalteten Republik in eine Förderation mindestens dreier Einzelrepubliken, was dem reichen Norden einen ungeschmälerten Genuß seiner Güter ermöglichen, die armen Teile aber in den „Europakeller“ verbannen würde.

Dem steht – bislang noch – eine bei den Kommunalwahlen im November und Dezember recht erfolgreiche Allianz um die Mehrheitsgruppierung der ehemaligen Kommunisten, die „Linksdemokraten“, entgegen – Grüne, Teile der zerfallenden Sozialistischen Partei und der unternehmernahen Republikanischen Partei, die Antimafiabewegung „La Rete“ und, wenn es darauf ankommt, auch die Nostalgiekommunisten der „Rifondazione comunista“. Sie bilden nach derzeitigen Umfragen einen soliden Block von etwa 40 Prozent und könnten mit dem Mehrheitswahlsystem gar auf satte 60 bis 70 Prozent kommen.

Das konservative Lager wird teilweise durch die ebenfalls erfolgreichen Neofaschisten besetzt. Andererseits bilden sich, nominell als „Neue Mitte“ oder „Moderate Formation“, derzeit gleich mehrere Parteien, die das traditionelle bürgerliche Lager aufsplittern: Medientycoon Silvio Berlusoni möchte den „moderaten“ Pool mit einer „Forza Italia“ genannten Formation ebenso anführen wie der DC-Dissident Mario Segni mit seinem „Patto per l'Italia“ und, sofern es dazu kommt, die DC- Abspalter vom „Zentrum“.