■ Ökolumne
: Autos und Nazis Von Till Bastian

Welch sonderbare Rolle, fragen sich viele, spielen Automobil, Temporausch und Mobilitätskult im deutschen Leben? Vielleicht führt ein Zitat näher an die Antwort heran: „Wir sehen in der Motorisierung einen Ausdruck des Lebenswillens ... Die Motorisierung erhöht das Lebensglück des Einzelnen, sie gibt einen Impuls für Wirtschaft und Arbeit ... Die Motorisierung revolutioniert mit ihrem raschen Tempo, mit ihrem gewaltigen technischen Umbruch alle Gebiete des öffentlichen Lebens ...“

Die Zeilen hat nicht die PR-Abteilung einer Autofirma verfaßt, sondern der „Korpsführer des NS- Kraftfahrerkorps“, Adolf Hühnlein – im Jahre 1935. Die Nazis waren gewaltige Mobilisierer und Motorisierer, allen voran Hitler selbst. Natürlich haben sie die Autobegeisterung nicht erfunden – aber in gewaltigem Maße gefördert und ausgenutzt. Und das wirkt bis heute nach: Wer kennt nicht die Sätze, das mit Krieg und Juden sei ja schlimm gewesen unter Hitler – aber die Autobahnen ...! A propos Autobahn: „Für die Straßen des Führers ist uns keine Landschaft zu schade“, sagte damals Fritz Todt, Generalinspekteur aller deutschen Straßen. Zieht man den Führer ab, ist es dabei im Grunde geblieben ...

Hitler wußte, wo sein Volk zu packen war. 1933 besuchte er als erster Reichskanzler überhaupt die Internationale Automobilausstellung (damals Berlin). Fünf Jahre später, 1938, sagte er dort: „Es ist kein Zweifel, daß die Sehnsucht nach der Maschine und besonders nach dem Motor bei vielen Millionen Volksgenossen vorhanden ist. Sorgen wir also dafür, daß durch eine gewaltige Zahl billiger deutscher Volkswägen in der Zukunft der Wunsch jener befriedigt wird, die aus Liebe, Lust zum Kraftwagen bereit sind, einen Teil ihres Einkommens dafür anzulegen ...“

Die Nazis bewerkstelligten eine „verkehrspolitische Wende“. Die Zahl der Autos stieg von 500.000 im Reich auf 1,3 Millionen; der Ausstoß der deutschen Automobilindustrie 1933 92.000 Einheiten – 1938 276.804; die Exportquote verdoppelte sich 24 Prozent 1938 ... Dazu nach der „Machtübernahme“ Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzungen (!); 10.4.1933 Steuerfreiheit für neu zugelassene PKW (!!), 27.6.1933 Gesetz über den Bau der Reichsautobahnen, am 29.9. der erste Spatenstich beim Autobahnbau ... 1934 wurde der „KdF-Wagen“ konzipiert – ausgelegt auf fünf Sitzplätze, 80 km/h und einen Preis von 1.000 Reichsmark. Im selben Jahr 1934 hatte Hitler verkündet: „Solange das Automobil lediglich ein Verkehrsmittel für besonders bevorzugte Kreise bleibt, ist es ein bitteres Gefühl, von vorneherein Millionen braver, fleißiger und tüchtiger Mitmenschen, denen das Leben ohnehin nur begrenzte Möglichkeiten einräumt, von der Benutzung eines Vekehrsmittels ausgeschlossen zu wissen, das ihnen vor allem an Sonn- und Feiertagen zur Quelle eines bisher unbekannten, freudigen Glücks würde ...“ Am 26. Mai 1938 wurde der Grundstein für das Volkswagenwerk gelegt. Im selben Jahr waren 3.000 Kilometer „Reichsautobahnen“ fertiggestellt; 30 VW-Prototypen tummelten sich im Großversuch auf deutschen Straßen. Auf der Avus erreichte der Rennfahrer Caracciola 432,7 km/h – Weltrekord; der Führer gratulierte. Zugleich jedoch zeitigte der deutsche Tempowahn schreckliche Folgen – im Deutschen Reich wurden über 8.000 Verkehrstote (!!) gezählt. Joseph Goebbels verkündete daraufhin, man sei entschlossen, „der leichtfertigen und verantwortungslosen Auffassung über die Verkehrsunfälle den erbarmungslosen Kampf anzusagen“. Selbst der alte Kämpfer Hühnlein hatte einige Zeit zuvor lamentiert: „Die Unfallziffer steigt ständig weiter. Wir können die Geister, die wir gerufen haben, kaum mehr meistern. Ich bin bestimmt ein fanatischer Mitkämpfer für den Volkswagen, aber zur Zeit fühle ich mich fast glücklich, diesen Wagen nicht auch noch auf unseren Straßen zu wissen ...“ 1939 erschlossen sich in den nun folgenden „Blitzkriegen“ andere Wege für die nationalsozialistische Mobilität. Erst nach 1945 liefen in Wolfsburg die ersten „Käfer“ vom Band und befuhren als Dienstfahrzeuge der Post deutsche Straßen. Die „Motorisierung der Volksgemeinschaft“, die Hitler propagiert hatte, wurde erst im Nachkriegsdeutschland realisiert. Aber auch auf dem Verkehrssektor hatte Hitler mit sicherer Hand die Weichen in Richtung Unheil gestellt.

Till Bastian lebt als freier Schriftsteller in Isny, zuletzt erschien „Tödliche Eile“, Oberursel 1993