Panik und Angst - und jeder neue Tag ist wie ein neuer Berg

■ Ein Verein bietet kostenlose psychologische Hilfe für Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen

Seit Wochen hat Monika ihren Briefkasten nicht geleert. Sie hat Angst vor Behörden-Post. Wenn das Telefon klingelt, erschrickt sie und wartet ängstlich ab, bis das Klingeln aufhört. Nachts wacht sie schweißgebadet und mit Panikgefühlen auf. Und jeder neue Tag liegt wie ein bleierner Berg vor ihr. Monika ist sozial isoliert und hat Angst. All dies sind Folgen ihrer langen Arbeitslosigkeit.

Der Hamburger Verein „Solidarische Psychosoziale Hilfe“ (SPSH) hat es sich zur Aufgabe gemacht, in solchen Fällen kostenlos und auf Wunsch anonym zu helfen. Hier werden Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen und Geringverdienende psychologisch beraten. Christian Schultz, ein Mitarbeiter der SPSH, sieht die zwei Grundziele ihrer Arbeit in der „Überwindung der eigenen sozialen Isolation“ und in der „Entwicklung von Perspektiven“: Die Betroffenen sollen herausfinden, was sie selbst am liebsten wollen.

Die Wiedereingliederung in das Berufsleben ist zwar eine Möglichkeit, die persönliche Situation zu verbessern, gilt aber dem SPSH nicht als oberstes Ziel. Andere Möglichkeiten seien sinnvolle und bewußte Freizeitgestaltung, Umschulungen, Qualifizierungen oder eine neuartige Bewertung der Lebenssituation.

Denn von dieser Voraussetzung geht man aus: das psychisch Belastende entsteht nicht aus der Arbeitslosigkeit an sich, sondern durch den Druck der Gesellschaft, die falschen Schuldgefühle, die geringe Selbstschätzung.

Entstanden ist der Verein 1987, seit 1992 wird er aus Hamburger Haushaltsmitteln finanziert. Ende vergangenen Jahres fielen durch die Mittel-Kürzungen etliche ABM-Stellen weg, so daß der Verein in diesem Jahr mit rund 250.000 Mark, zwei festen Psychologinnen-Stellen und zwanzig ehrenamtlichen BeraterInnen auskommen muß. Und dies bei gleichzeitig steigendem Bedarf: Renate Schumak, eine der Psychologinnen, vermutet, daß sich der Bedarf allein im vergangenen Jahr um 20 Prozent erhöht hat.

Rund 120 Betroffene kamen 1993 in die Beratungsstelle, davon 60 Prozent Frauen. Der größte Teil der Klientel sind Arbeitslose, überwiegend Singles im mittleren Alter. Jeder zehnten Person wurde nach Beendigung der psychologischen Beratung zu einer weiterführenden Therapie geraten, allen anderen – immerhin 90 Prozent – hätte bei ihren vielfältigen Problemen geholfen werden können.

Doch die gesellschaftliche Entwicklung ist „beängstigend“, sagt Renate Schumak, „eine der reichsten Gesellschaften der Welt leistet sich ein Ausmaß an psychischer Verelendung, das unabsehbare Folgen haben kann.“ Anstatt der Arbeitslosigkeit würden die Arbeitslosen bekämpft.

Daß dies eine Sackgasse für eine Industrie-Gesellschaft ist, die langfristig auf gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte angewiesen sein wird, müßte eigentlich jedem Politiker klar sein, der über vier Jahre hinauszudenken vermag.

Annette Bolz

Solidarische Psychosoziale Hilfe, Bartelsstr. 30, 20357 Hamburg. Telefon: 430 22 70