Familienhölle unterm Hirschgeweih

Jürgen Gosch inszenierte Hauptmanns „Friedensfest“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters  ■ Von Petra Kohse

Ein Kronleuchter aus Hirschgeweihen baumelt von der hohen Decke. Die restliche Einrichtung rechtfertigt diese eigenwillige Lampenkreation voll und ganz: Ausgestopfte Waldtiere starren auf schwere Eichenmöbel, eine Standuhr tickt, Landschaftsschinken in Öl ersetzen den Blick ins Freie, der durch die beiden bullaugenförmigen Fenster rechts und links von der Eingangstür nicht möglich ist; sie sind zu klein, zu hoch angebracht und zudem vereist. Ein Familienfest braucht nicht unbedingt solch eine Stilmöbelgruft, um zur Katastrophe zu geraten, aber so steht es bei Hauptmann, und so hat es Donald Becker in den Kammerspielen des Deutschen Theaters gebaut.

Nach jahrelanger Abwesenheit kehrt der tyrannische Vater am Weihnachtsabend nach Hause zurück. Seine abgearbeitete Frau, die jüngferliche Tochter und der zynische älteste Sohn sind darüber kaum beglückt. Denn zwei Frauen sind zu Gast, die Verlobte des jüngeren Sohnes samt ihrer Mutter. Besagter Sohn hat seine Familie ebenfalls jahrelang nicht gesehen, seit er seinem Vater einmal ins Gesicht schlug, weil dieser die Mutter verleumdete. Nun haben die Damen ihn wenigstens zu einer Versöhnung mit der Restfamilie überredet und sind als Vorhut angereist. Der verlorene Sohn kommt tatsächlich – aber eben überraschenderweise auch der Vater. Das Fest der verordneten Liebe, in dieser Runde begangen, läßt erwartungsgemäß die Familienhölle wieder auflodern.

Wiewohl in der Hochzeit des Naturalismus entstanden, ist „Das Friedensfest“ keines von Gerhart Hauptmanns sozialkritischen Zeitstücken, sondern beschreibt psychologische Konflikte, die unlösbar sind und deshalb überdauern. Die Geschichte selbst hat Hauptmann Frank Wedekind abgelauscht, die Figuren dessen leidvollem Privatbericht nachgestaltet und das Ganze lediglich vom Wedekindschen Familienschloß Lenzburg in der Schweiz ins Brandenburgische verlegt.

Die Inszenierung Jürgen Goschs leuchtet in allen Teilen ein: Die Hauptmannsche Sprache verlangt ein entstehungszeitgetreues Ambiente, die seelenvolle Betulichkeit der beiden zugereisten Damen muß heute ironisch gebrochen werden (was vor allem Margit Bendokat als draller und naiver Wohltätigkeitssirene wundervoll gelingt), und zu den Familienmitgliedern, die durch Selbstekel sowie gegenseitige Verachtung ineinander verkeilt sind und sich doch nicht nahekommen können, paßt der gelegentliche Tragödienton ausgezeichnet.

Ein Pesthauch weht über die Bühne, selbst dann, wenn auch manche der nicht-ironischen Szenen vor lauter Elend ins Komische kippen. Beispielsweise wenn die verhärmte Mutter mit harter Schale und unbestimmtem Kern immer drohend auf ihr nahes Grab verweist. Gudrun Ritter gewinnt dieser bedauernswerten Haushaltsvorsteherin durch Geradlinigkeit und Burschikosität ein einfältiges Charisma ab.

Michael Maertens und Daniel Morgenroth spielen die Söhne. Maertens hat als Zyniker Robert Hüfte und Hals stets vorgeschoben und läßt seine Kopfstimme durch eine fast spürbare Aussprache noch spitzer wirken. Eine gelungene Karikatur – und manchmal doch auch mehr: Zynismus als hysterische Kompensation der Melancholie. Morgenroth baut seine Figur wie üblich aus der Hüfte auf: Beladen mit Schuld und Aggressionen, kommt sein Wilhelm nur ruckartig vom Fleck. Dazu ein Brustton, der anfänglich fast zu voll, zu groß wirkt für den verkrampften Körper – ein idealischer Funke, der in diesem komplexbeladenen Sohn aufblitzt und sich zunehmend Raum schafft.

Hervorragend besetztes Schauspielertheater ist diese Aufführung, das Thema trägt, und Gosch hat die komischen und pathetischen Momente bei zügigem Tempo gelungen akzentuiert. Ulrike Krumbiegel nestelt an ihrer Kleidung, schürzt die schmalen Lippen und skizziert die Nebenrolle der frustriert-überspannten Schwester Auguste als kleine Tragödie für sich. Wo einmal Leidenschaftlichkeit angelegt war, ist jetzt nur noch eine dürre Erinnerung an die Hoffnung auf erfüllte Liebe. Einzig Claudia Geisler als die zur aufopfernden Liebe entschlossene Wilhelm-Braut Ida blieb blaß in ihrer hölzernen Künstlichkeit.

Ein im allgemeinen als eher unbedeutend gehandeltes Hauptmann-Stück erweist, so aufgeführt, seine volle Berechtigung. Viele der eleganten und wohlgefälligen Inszenierungen am Deutschen Theater sind – genau besehen – eigentlich verzichtbar. Dieser Blick ins deutsche Wohnzimmer ist es nicht.

„Das Friedensfest“ von Gerhart Hauptmann. Regie: Jürgen Gosch, Bühne: Donald Becker. Mit: Reimar Joh. Baur, Margit Bendokat, Claudia Geisler, Ulrike Krumbiegel, Michael Maertens, Otto Mellies, Daniel Morgenroth und Gudrun Ritter. Nächste Vorstellungen am 19. und 27.1., 19.30, Kammerspiele des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a, Mitte.