Rund um den Schokoriegel

■ Vergleich des pubertierenden Musikvideo-Kanals Viva mit dem inzwischen souveränen MTV

„Wir fahren Viva on air rauf“, sagt Klaus Finger, stellvertretender Geschäftsführer des Kölner Pop-Spartenkanals, in einem Gespräch kurz vor Probe-Sendebeginn am 1. Dezember. Der Kabelsender wurde Ende letzten Jahres überstürzt gestartet, nachdem er zuvor zwei Jahre durch die Branchenpresse gegeistert war. Erst als Mr. PopKomm Dieter Gorny von den vier Musikkonzernen, die Teilhaber des Senders sind, zum Geschäftsführer und Finger zu seinem Stellvertreter gemacht wurden, kam Bewegung in den vorher dilettantisch gemanagten Sender. „Anfang November war alles, was es von Viva gab, mein Funktelefon“, erzählte Finger. Hastig wurden Büros in Köln angemietet und eine Handvoll fernsehhungriger Youngster eingestellt, weil man am 1. Dezember den freigewordenen Kanal von Eins plus übernehmen konnte.

Kurze Zeit nach dem offiziellen Sendebeginn zu Heiligabend hat die taz mal nachgesehen, was aus den großen Ankündigungen geworden ist. Außer einer Nonstop- Clip-Rotation mit einem Schwerpunkt auf deutscher Musik waren uns Anfang Dezember Spezialsendungen über Indie Rock, Dance etc. angekündigt worden, außerdem redaktionelle Beiträge über „Schrilles und Skurriles“, „vollgepackt mit Infos und Interviews“, die „direkt aus der Szene kommen“. Bei einem Probesehen an einem frühen Sonntagabend verglichen wir Viva mit MTV.

Generics

Viva: Ziemlich schlichte Animationen des unleserlichen Viva-Logos (sieht aus wie Vava).

MTV: Stilpluralismus als Stil.

Moderation

Viva: Pubertierende Teenies, die sich vor der Kamera winden, als schämten sie sich fürs Programm. Besonders „Hampel- Heike“ Makatsch löste beim Testpublikum körperliche Peinlichkeitsgefühle aus. Die Suche nach Eigenproduktionen auf Viva erwies sich am Sonntag abend als frustrierendes Unternehmen, anders als bei MTV sind redaktionelle Beiträge noch rar.

MTV: Henry Rollins als Gast-VJ!!! Die übrigen MTV-Moderatoren wackeln zwar meist mit über den Schritt gefalteten Händen vor der Kamera herum, tun dies aber inzwischen mit einer gewissen Souveränität. Immerhin sind die Moderationen auf MTV leicht zwischen den Clips zu finden.

Videos

Viva: Absolut muffig! Der Altersdurchschnitt der Videos liegt bei einem halben Jahrzehnt. Eine erfreuliche Innovation: Bei den meisten Videos wird der Regisseur genannt.

MTV: Auf MTV wirkt schon „In Bloom“ von Nirvana, das Anfang 1993 herausgekommen ist, altbacken. Im übrigen sehen Clips, die hintereinander auf beiden Sendern gelaufen sind, auf MTV irgendwie aufregender aus.

Formate

Viva: Die Formate und Shows stehen nur in der Fernsehzeitschrift, tatsächlich flackerte am Sonntag abend nur eine beliebige Melange aus Videos über den Bildschirm.

MTV: Die Shows sind zwar konzeptionell nicht besonders aufregend, werden aber eisern durchgehalten.

Bildqualität

Viva: Sieht im Düsseldorfer Kabel recht ausgewaschen aus.

MTV: Eindeutig bessere Bild- Auflösung.

Definitionsmacht

Viva: Das größte Problem des Senders: Während MTV in den letzten zehn Jahren sein Publikum selbst erfunden hat, muß Viva sich an dieser vorgefundenen Zielgruppe orientieren.

MTV: Zur allgemeinen Überraschung ist MTV nicht der ursprünglich befürchtete Mainstream-Sender geworden, sondern ein politisch weitgehend korrektes, multikulturelles Programm, aus dem man sich ein Lebensgefühl konstruieren kann.

Werbung

Viva: Eine Handvoll immer gleicher Spots für absolut zielgruppenkompatible Produkte wie Schokoriegel, Videospiele, Parfüms etc. Die deutsche Werbewirtschaft scheint Viva abwartend gegenüberzustehen.

MTV: Das Reklamebombardement richtet sich an eine größere, ältere Zielgruppe (Spots für Samsonite, Autos etc.). Gewinner in puncto Popmusik an diesem Abend war übrigens weder Viva noch MTV, sondern der arte-Themenabend „Rock 'n' Roll attitudes“. Falls Viva es ernst meint mit den angekündigten Features und Szeneberichten, kann es sich ein Beispiel an arte nehmen. M. Aschmann, T. Baumgärtel