piwik no script img

„Zupackende Politik statt Pseudotröstung“

Scharping und Schröder eröffneten am Wochenende für die SPD das Superwahljahr 1994  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Die niedersächsische SPD hat sich rechte Mühe mit ihrem Auftakt für das Wahljahr 1994 gegeben. Und da heutzutage das Drumherum schon als halbe Botschaft gilt, stimmte am Wochenende in Hannover das Ambiente. Swing, griechische Musik, 51 Stände von Ortsvereinen, Bier und Talk mit Hiltrut Schröder – die 14.000 SPD- Anhänger aus ganz Niedersachsen wollten unterhalten sein, wenn die meisten von ihnen schon den Auftritt der Hauptakteure Scharping und Schröder nur auf Großbildwänden in Nebensälen der Stadthalle oder ganz draußen im Festzelt verfolgen konnten.

Drinnen im übervollen Kuppelsaal sind es erst einmal Kinder, die für die rechten Emotionen sorgen. „Weil es um Menschen geht“ ist rot auf weiß von der „starken und gerechten“ SPD im Bühnenhintergrund als Parole ausgegeben. Davor hat die Regie in zwei Reihen die Wählerinitiative „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für Gerhard Schröder“ plaziert. Ganz vorn jonglieren zunächst die lieben Kleinen vom Kinderzirkus Giovanni mit brennenden Fackeln.

Ein Marsch der Zirkuskapelle hat auch den Einzug des Parteivorsitzenden und des niedersächsischen Ministerpräsidenten begleitet. Bevor der Pfälzer dann reden darf, schlägt einer der kleinen Giovannis dreimal den großen Gong. „Jetzt beginnen acht Wochen, in denen wir bei den Menschen darum werben, daß die Hoffnungen bei der SPD besser aufgehoben sind, als bei anderen Parteien“, beginnt Rudolf Scharping. Es gebe „wahrlich genug Arbeit in unserem Lande“, stellt er dann fest, aber aus der Arbeit müßten auch bezahlte Arbeitsplätze werden. Die Arbeitslosen dürften nicht dadurch verhöhnt werden, „daß man ihnen die Hilfe kürzt und dann so tut, als wenn sie selbst die Schuldigen wären“. Scharping ist gegen „nationale Pseudotröstungen“, aber für „zupackende Politik“. „Leistung soll sich lohnen“, ruft er dann aus. Man müsse den Menschen auch Gelegenheit zum Aufbau geben: „Wir leben nicht in einem Freizeitpark, sondern in einer Gesellschaft wachsender Arbeitslosigkeit.“ Der Saal antwortet mit heftigem Beifall.

Um das „Krebsübel Arbeitslosigkeit“ kreist Scharpings Rede. Gegen dieses Krebsübel empfiehlt er eigentlich nur die „Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Unternehmern und Arbeitnehmern“. Das erinnert verdächtig an die Kohlschen „runden Tische“ im Kanzleramt.

„Wir haben ein Standortrisiko, das in Oggersheim wohnt“, läßt sich Scharping beklatschen. Er erinnert an „Ludwig Erhard, der ein guter Wirtschaftsminister und ein mäßiger Kanzler gewesen sei und davon sprach, man „müsse jetzt den Gürtel enger schnallen“. Angesichts der Leibesfülle Erhards sei das ein kurioses Bild gewesen. „Genauso kurios ist es, wenn Kohl heute sagt, man müsse umdenken“, kalauert der SPD-Vorsitzende. Sein Fazit: „Das System Kohl ist am Ende.“ Die Niedersachsenwahl könne ein Signal dafür werden, „daß auch die Regierung Kohl zu Ende geht“.

Zu stehenden Ovationen aber läßt sich der Saal erst hinreißen, als Niedersachsens Ministerpräsident die Bühne betritt. Schröders Rede hat das gleiche Thema: er nennt Krise und Arbeitslosigkeit „die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“, erinnert daran, „daß die erste Republik von Weimar an der Geißel der Massenarbeitslosigkeit zugrunde gegangen ist“, und er nennt im Gegensatz zu Scharping konkrete Ansatzpunkte für Arbeitsmarktpolitik: Die „intelligentere Verteilung“ von Arbeit zum Beispiel, wie man sie bei VW verwirklicht habe. Er plädiert dafür, in Not geratenen Mittelständlern mit öffentlichen Mitteln zu helfen, wie dies Niedersachsen mit 900 Millionen getan habe, und tritt für Subventionen für Werften und Stahlwerke ein. Dem folgt eine Bilanz der niedersächsischen Bildungpolitik. Das Ganze beschließt Schröder mit einem Appell an die traditionellen sozialdemokratischen Werte, einem Appell, gemeinsam den „Weg des Kampfes gegen den Rechtsradikalismus weiterzugehen“, so wie Willy Brandt es gelehrt habe: links und frei.

Zum Wahlziel erklärten die niedersächsischen Sozialdemokraten bei diesem Wahlkampfauftakt, „die SPD so stark wie möglich zu machen“. Den grünen Koalitionspartner erwähnten die niedersächsischen Genossen mit keinem Wort. Ebenso ungenannt blieb der niedersächsische CDU-Spitzenkandidat, Christian Wulff. Der hatte seinen Wahlkampfauftakt schon vor Weihnachten in Delmenhorst mit tausend Zuhörern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen