„Emotionale Erregung“

■ Prozeßbeginn gegen türkische Jugendliche in Pinneberg

Eine Hundertschaft Polizei und fast genauso viele Demonstranten begleiteten gestern vor dem Jugendschöffengericht in Pinneberg den ersten Prozeßtag gegen sechs türkische Jugendliche im Alter von 17 bis 25 Jahren. Die Anklage lautet auf Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Ihnen wird vorgeworfen, zusammen mit 30 anderen Jugendlichen am 2. Dezember 1992 als Reaktion auf den Möllner Mordanschlag Mitglieder der rechtsradikalen Partei FAP mit Baseballschlägern verprügelt zu haben. Dabei wurde eine Person mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Der Protest der Demonstranten richtete sich vor allem gegen den Anwalt des verletzten Nebenklägers, Jürgen Rieger, bekannt als Verteidiger von Mitgliedern der „rechten Szene“.

Der Prozeß beginnt schleppend und wird mehrfach durch Zwischenrufe „Nazis raus“ unterbrochen. Bei der vom Richter angeordneten Räumung kommt es zu einer Schlägerei, einige Zuschauer werden durch Gummiknüppel verletzt. Staatsanwalt Helmut Patett gibt zu, noch keine Schlägerei im Gerichtssaal erlebt zu haben: „Dies ist sicher auf die große emotionale Erregung der Zuhörer zurückzuführen, die über das Gesamtklima in Deutschland sehr aufgebracht sind“, sagte er. Einer der Verteidiger fordert die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit. Außerdem, beschwert er sich, sei bei der Räumung sein Mandant geschlagen worden. Das Gericht entscheidet auf Fortsetzung. Die Verteidiger bitten darum, „aus gutem Grund die Anschriften ihrer Mandanten nicht angeben zu müssen“. Widerspruch von Anwalt Rieger: „Wer hat denn hier Gewalt ausgeübt?“, erneute Zwischenrufe „Hör auf, du Nazi“. Rieger will das harsche Wort „Spinner“ gehört haben. Er fordert ein Ordnungsgeld. Richter Ingwertsen hat „akustisch“ nichts gehört, ein Schuldiger kann nicht ausgemacht werden.

Die Verhandlung endet nach zweieinhalb Stunden mit dem Verlesen der Anklageschrift. Dann wird vertagt, weil einer der Angeklagten keinen Pflichtverteidiger hat. Daraufhin stellt auch Rieger einen Antrag auf Pflichtverteidigung, da sein Mandant „nicht sehr viel verdient.“ Der Prozeß wird Dienstag fortgesetzt. Gaby Werner